Schlechte Verlierer

Werte Leserinnen und Leser,

ACTA ist abgelehnt. Viele – auch ich – freuen sich darüber, dass das Europaparlament mit großer Mehrheit entschieden hat, ACTA nicht zu ratifizieren.

Nicht jeder freut sich mit uns. Der EU-Handelskommissar Karel de Gucht, der sich bis zuletzt für das Abkommen eingesetzt hat, steht nun vor dem Scherbenhaufen seiner Verhandlungstaktik, und auch Sprecher der Industrie äußerten sich erwartungsgemäß skeptisch.

Reichlich unerwartet hingegen empfinde ich die Kommentare in der Süddeutschen Zeitung von Andrian Kreye und in der FAZ von Jasper von Altenbockum. Beide blasen ins gleiche Horn: die Ablehnung von ACTA sei ein „Sieg der Meute“, die „Macht der Masse“ habe die Parlamentarier zum Einlenken gebracht. Es scheint, als hätten beide ihre ureigene Aufgabe als Journalisten nicht gemacht – die Recherche. Denn ACTA hat nicht erst mit den Protesten von ein paar Hunderttausenden im Februar begonnen, sondern bereits einige Jahre zuvor – und die Massenproteste sind nicht der Auslöser, sondern die Folge einer intransparenten und lobby-gesteuerten Geheimverhandlung.

Zur Historie: Das Anti-Piraterieabkommen ACTA, verhandelt diskutiert zwischen den USA, der EU, aber auch Ländern wie Jordanien, Marokko und den Vereinigten Arabischen Emiraten, sollte ursprünglich den Kampf gegen Produktpiraterie verbessern. Es wurde heimlich verhandelt, und zunächst war niemand an einer offenen Diskussion interessiert.

Eingeladen waren neben den Ländern auch Vertreter der Content-Industrie, und schnell wurde das eigentlich gegen die Produktpiraterie (gefälschte Waren und Medikamente) gewandte Abkommen auf das Urheberrecht im Internet erweitert – und das, was letztlich über WikiLeaks und andere Kanäle Stück für Stück aus den verschlossenen Sälen hervordrang, klang eher nach Folterkeller der Ewiggestrigen als nach einem vernünftigen Einstieg in das 21. Jahrhundert und seine neuen digitalen Möglichkeiten.

Hätte man sich auf den ursprünglichen Ansatz konzentriert, wäre ACTA vermutlich ein sinnvolles und gutes Abkommen geworden, das uns vor Produktpiraterie schützen könnte. Durch die unselige Vermischung mit der Diskussion um geistiges Eigentum hingegen wurde ein Geist aus der Flasche gelassen, der nicht mehr einzufangen war. Letztlich haben das auch einige Regierungen der EU-Mitgliedsländer erkannt und nicht zuletzt auch die EU-Parlamentarier.

Wer nun, wie die beiden oben genannten Kommentatoren, behauptet, die Entscheidung des EU-Parlaments sei ein Sieg des „digitalen Mobs“, wer behauptet, die Parlamentarier „kuschen vor Einschüchterung durch die Netzgemeinde“ oder der „Macht der Masse“, der hat selbst ein äußerst fragwürdiges Verständnis von parlamentarischer Demokratie. Denn die EU-Parlamentarier sind frei gewählte Vertreter des Volkes und damit mehr als die halbdemokratisch bestimmte EU-Kommission legitimiert. Sie entscheiden frei und sind nur ihrem Gewissen verpflichtet. Wenn nun eine große Mehrheit dieser Parlamentarier ACTA ablehnt, dann wohl kaum wegen einer diffusen Netzgemeinde, sondern weil sie nicht von ACTA überzeugt sind – trotz aller Tricks, die der Handelskommissar de Gucht bis zuletzt versucht hat.

Hätten die Kommentatoren recht, dann wären BKA-Gesetz und Vorratsdatenspeicherung bereits auf der Müllhaufen der Geschichte angekommen, und das dort bereits abgelegte Zugangserschwernisgesetz („Zensursula“) hätte es nie gegeben. In allen Fällen gab und gibt es große Proteste, auch auf der Straße. Offenbar gibt es aber in CDU/CSU und SPD große Mehrheiten, die diese Gesetze befürworten und auch nicht vor der Netzgemeinde „kuschen“. Die beiden Kommentatoren sind also offenbar mit ihrer Meinung im Irrtum. Das ist zwar menschlich, aber in diesem Falle unnötig und vermeidbar.

Vielleicht sind die beiden aber auch einfach nur schlechte Verlierer.

Herzlichst,

Ihr JeanLuc7

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