In Ihrem gewohnten, mit farbigen, emotionalen und drastischen Attributen nicht sparenden Schreibstil haben Sie auf Seite 2 der ZEIT 29/09 (hier online zu lesen) erneut Stellung genommen zum Thema der Internetsperren und beleuchten diesmal das Thema „Zensur“ genauer. Sie greifen dazu auf einen Beschluss des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. April 1972 zurück: „Die Verfassung kann mit diesem kategorischen Verbot jeder Zensur nur die Vorzensur gemeint haben“ und folgert daraus, dass eine Sperre einer Internetseite mit Kinderpornographie keine Zensur sein kann und man sich also in diesem Falle nicht auf das grundgesetzliche Zensurverbot berufen kann.
In der Diskussion um die Internetsperren wird dies von keiner Seite bestritten. Selbst der Aufruf von Internetseiten, die Kinderpornographie enthalten, ist bereits ohne die Sperren strafbar. Und niemand (einige wenige Extremisten ausgenommen) ruft wegen dieser Seiten „Zensur“! Denn gegen die Verbreitung von Kinderpornographie sind alle, auch die Unterzeichner der online-Petition und die Mitglieder der Piratenpartei.
Die Streiter wider Internetsperren nehmen jedoch sehr wohl zur Kenntnis, dass wir in einem demokratischen Rechtsstaat leben und nicht in einer Diktatur wie China und Iran. Die Diskussion rund um die Internetsperren ist auch eine Diskussion um die persönliche Freiheit der Bürger und soziales Engagement. Und daher wirkt es mehr als befremdlich, wenn bereits jetzt Politiker und Lobbyisten dazu aufrufen, weitere Internetsperren einzurichten, diesmal für sogenannte „Killerspiele„, Glücksspielseiten und Webseiten mit illegalen Downloadmöglichkeiten auch für urheberrechtlich geschütztes Material. In manchen Äußerungen zur Sperrung von Kinderpornographieseiten fehlte bereits das „Kinder“. Neuerdings sind auch „Hass-Seiten“ als Sperrvorschlag im Gespräch. All das kann auch Ihnen, Herr Wefing, nicht entgangen sein.
Ich entstamme demselben Geburtsjahrgang wie Sie, und ich bin wie Sie überzeugt, dass uns kein Unrechtsregime wie im Iran und China droht. Allerdings – Gesetze dienen nicht nur in freundlichen, sondern auch in unfreundlichen Zeiten als Garant für unseren demokratischen Rechtsstaat, für den ich überzeugt und mit ganzer Kraft eintrete. Genau hier greift die Kritik am Gesetz für Internetsperren an: es etabliert die Möglichkeit, Webseiten zu sperren, auch wenn sie keine Kinderpornographie zeigen, und die Kontrolle obliegt derzeit dem BKA. Das von Ihnen zitierte Urteil stammt aus dem Jahre 1972, einer Zeit ohne Internet, in der eine Vorzensur tatsächlich unterscheidbar war von einem „Gelangen in die Öffentlichkeit“. Heute – 37 Jahre später – würde die Entscheidung des Gerichts unter Berücksichtigung der Möglichkeiten des Internets wohl differenzierter ausfallen.
Internetsperren für zulässig zu erklären, weil es sich bei der Sperre nicht um „Vorzensur“ handelt, halte ich jedoch für gefährlich. Eine einmal publizierte, per se nicht strafbewehrte Webseite wegen Nichtgefallens wegzusperren, stellt sehr wohl einen Verfassungsverstoß gegen §5.1 GG dar. Wir werden aber sehen, wie die Gerichte mit dem neuen Werkzeug umgehen werden, wenn erstmals Rechteinhaber Sperrungen verlangen. Erst dann beginnt der Weg durch die Instanzen, der den tatsächlichen Rahmen für das Zugangserschwernisgesetz vorgeben wird.
Wir dürfen nicht vergessen: Unser demokratischer Rechtsstaat hat durch den Gewaltverzicht der Bürger das Recht und die Pflicht, Straftaten zu verfolgen und zu ahnden. Kritik aber – und möge sie aus unserer demokratischen Blickweise noch so falsch und unerträglich sein – muss er ertragen. Wenn wir sie aber durch das Strafrecht verbieten, machen wir uns ebenso angreifbar wie die, die wir als Diktatoren brandmarken. Der demokratische Rechtsstaat erlaubt auch seinen Feinden, ihre Meinung zu sagen. Darin unterscheidet er sich von Diktaturen.
Zuguterletzt: Die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes wird geprüft und – mit wenigen, aber wichtigen Änderungen zum Thema Richtervorbehalt – wahrscheinlich positiv bewertet werden. Dennoch: Sollte es uns nicht Sorge bereiten, dass alle wichtigen Gesetze zur Inneren Sicherheit der letzten Jahre auf dem Prüfstein des Bundesverfassungsgericht gelandet sind, um – soweit bereits entschieden – als nicht verfassungskonform zur Überarbeitung zurückgewiesen zu werden? Wünschen Sie sich nicht auch von unseren frei gewählten Abgeordneten zukünftig mehr Sorgfalt bei der Erarbeitung unserer Gesetze?
Es grüßt Sie
JeanLuc7
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Heinrich Wefing ist ein deutscher politischer Journalist, Architekturkritiker und Buchautor. (Quelle: wikipedia.de). Er hat in den letzten Wochen wiederholt Stellung genommen zum Thema der Internetsperren.