Wen interessiert es?

Werte Leserinnen und Leser,

Am vergangenen Dienstag (27.11.2012) hat google eine Kampagne gegen das geplante deutsche Leistungsschutzrecht für Zeitungsverleger gestartet. Die Reaktionen waren schnell und eindeutig: praktisch jede Nachrichtenseite (hier, hier, hier, …) schreibt, wie wichtig dieses neue Recht sei, dass   außer google und ein paar anderen Suchmaschinen sowieso niemand davon betroffen sein wird und google sowieso scheinheilig sei, weil man dort nicht das Internet, sondern nur das eigene Geschäftsmodell absichern wolle.

Kaum jemand versteht das sperrige Leistungsschutzrecht, daher ist das Interesse in der Öffentlichkeit gering. Vordergründig ist es ein Gesetz, das Verlagen erlaubt, die Verwendung kleinster Textschnipsel kostenpflichtig zu lizenzieren. Die Verlage wollen das, weil heute google billige Anzeigen neben diesen kleinen, bisher unbezahlten Textschnipseln verkauft – früher verkauften die Verlage teure gedruckte Anzeigen neben teuren gedruckten Inhalten.

Problematisch ist nun, dass ein Gesetz gegen google allein rechtlich nicht durchsetzbar ist – also schuf man einen Vorschlag, der kommerzielle von nicht kommerziellen Verwertungen trennt. Zukünftig soll jeder zahlen, der Textausschnitte zitiert, sofern er damit Geld verdient. Das trifft nicht nur google, sondern alle, die ihre Webseiten mit Werbung refinanzieren – das sind beispielsweise auch alle großen Blogs und sogar die Zeitungsverleger selbst. Die Macher des Gesetzes und die Presse-Lobbyisten haben zwar erklärt, die Blogger von sich aus nicht zu belangen, aber Gesetz ist Gesetz, und Abmahnanwälte wären dumm, wenn sie diese Chance nicht ergreifen würden.

Um dem Gesetz nun zukünftig Folge zu leisten, müsste google mit allen betroffenen Verlagen Einzelverträge abschließen – das Gesetz sieht keine Verwertungsgesellschaft wie die GEMA vor. Jeder andere Verwerter von Schnipseln müsste ebenfalls Verträge abschließen. Wer das für praktikabel hält, glaubt auch an den Klapperstorch und Grimms Märchen, wenn nicht gar an schlimmeres.

Hier tobt ein Kampf zwischen den Schnipselnutzern und den Schnipselerzeugern, das ist klar. Es geht google ums Geschäft, aber auch den Verlagen. Oliver Neuroth auf tagesschau.de erklärt das so: „Der Urheber eines Zeitungsartikels hat mehr als das Honorar seiner Redaktion verdient, wenn sein Text nicht nur auf ihrer Seite erscheint, sondern hundert- oder tausendfach im Netz kommerziell gestreut wird.“ Er verschweigt aber ebenso wie seine Kollegen Lischka (Spiegel Online) und Prantl (Südddeutsche), dass die Zeitungen dem google-Treiben schon heute ein Ende setzen könnten, indem sie ihre Webseiten entsprechend ausrüsten. Ein passender Eintrag in ihre robots.txt-Datei, und schon lässt die automatische Suche von google ihre Inhalte ruhen.

Die Verlage wollen aber gar nicht in Ruhe gelassen werden – sie wollen gefunden und gelesen werden, und sie wollen Geld dafür. Und da google offenbar ein derzeit funktionierendes Geschäftsmodell besitzt, wollen sie sich dort einklinken. Die Kollateralschäden in der deutschen Blogkultur werden dabei hingenommen – das sind eh nur Möchtegern-Konkurrenten, die man auf diese Weise billig entsorgt.

Die Kommentatoren vergessen zudem zu erklären, dass nicht der Autor eines Artikels Nutznießer der Einnahmen aus dem Leistungsschutzrecht ist, sondern die Verlage selbst. Kein Redeakteur bekommt durch das neue Gesetz auch nur einen Cent aus diesem Topf, bloß weil ein Schnipsel seines Artikels bei google gelistet wird.

Liebe Leserinnen und Leser, seien Sie gewarnt! Die Presse nimmt in diesem Krieg ihre Kontrollfunktion als Vierte Gewalt im Staat ebenso wenig wahr, wie google der Verteidiger des freien Internets ist. Sie sind daher auf sich selbst gestellt – Sie werden kaum einen neutralen Artikel zu diesem Thema finden.

Ich habe mir meine Meinung gebildet: das Leistungsschutzrecht ist perfekte Lobbyarbeit – aber es ist auch ein verzweifelter Versuch, alte Geschäftsmodelle zu konservieren. Wenn Zeitungen auf anderer Weise nicht am Leben zu erhalten sind, dann lasst sie sterben.

Herzlichst,

Ihr JeanLuc7

P.S. Auch ohne Gesetz zu sein, hat das Leistungsschutzrecht den Verlagen bereits erste Einnahmen beschert: In vielen überregionalen Zeitungen hat google am 29.11.2012 ganzseitige Anzeigen geschaltet, die die google-Position darstellen. Das war teuer.

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