Werte Leserinnen und Leser,
heute ging der 16. Polizeikongress in Berlin zu Ende. Auf diesen Kongressen treffen sich unter anderem Spitzenbeamte aus dem Bundesinnenministerium, von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt. Man ahnt schon, dass hier vom Dreiklang „Einigkeit und Recht und Freiheit“ für den dritten Ton nur wenig Raum bleibt.
Tatsächlich hat aber diesmal der stellvertretende BKA-Vizepräsident Jürgen Maurer den Vogel abgeschossen, indem er eine ganz neue Weise vorstellte, wie die Vorratsdatenspeicherung zu rechtfertigen sei: Er forderte eine andere Sicht auf das Internet, die jeder Bürger verinnerlichen müsse: „Wer im Internet ist, hat die Privatheit verlassen.“ Dementsprechend sei die Speicherung der IP-Adressen dann nicht problematisch.
Wow – BKA, Facebook und Julia Schramm endlich mal auf einer Linie! Weg mit der Privatheit im Internet, weg mit den Schranken des Datenschutzes – und weg mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, denn genau das steckt hinter der Idee von Herrn Maurer. Er weiß sicher, dass er sich hier auf verfassungsrechtlich äußerst dünnes Eis begibt – eine kalkulierte Provokation.
Maurer weiß auch gut, wie er die Kehrtwende beim Datenschutz begründet: „Egal wie man diskutiert, man muss sich hier entscheiden, ob man den Ermittlungserfolg will oder nicht.“ Man sieht förmlich den wütenden Lieutenant Worf vom Raumschiff Enterprise vor sich: „Die Föderation hat viele Feinde, und wir müssen sie alle aufspüren!“
Ich möchte Herrn Maurer entgegnen: Das Ziel eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats ist nicht der hundertprozentige Ermittlungserfolg der Polizeien gemäß der Prämisse, nur tief genug wühlen zu müssen, damit sich etwas gegen einen Bürger findet. Der Dreiklang dient hingegen der Abwägung – Einigkeit unter den Bürgern entsteht auch durch ein Gleichgewicht von individuellen Freiheiten und der Rechtsdurchsetzung durch den Staat. Maurer hingegen fordert in letzter Konsequenz den Polizeistaat, in dem nur noch die Rechtsdurchsetzung wichtig ist.
Der von Maurer angesprochene Ermittlungserfolg birgt aber noch eine weitere Problematik. Gerne wird die Vorratsdatenspeicherung als Hilfsmittel gegen Cyberbetrug und Kleinkriminelle ins Felde geführt – genau dazu soll sie aber nicht dienen, sondern – wie das Bundesverfassungsgericht inzwischen mehrfach ausgeführt hat – ausschließlich zur Ermittlung in schweren Straftaten, wozu der einfache Betrug eben nicht zählt.
Damit nicht genug: Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) hat auf derselben Tagung die ablehnende Haltung von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zur Vorratsdatenspeicherung als „nah an einer Strafvereitelung“ bezeichnet. Für mich sind Jägers Worte eher „nah an übler Nachrede“. Sein Parteikollege, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundesfraktion, Thomas Oppermann outete sich ebenfalls erneut als Fan der VDS. „Spätestens mit der drohenden Geldstrafe der EU-Kommission [sei] die Debatte zur Vorratsdatenspeicherung schnell vorbei […], da diese Zahlungen dem wählenden Steuerzahler nicht zu vermitteln seien.“ Liebe SPD, eure Mehrheitshaltung zur VDS und den anderen sicherheitspolitischen Bürgerrechtseinschränkungen verstehe ich nach wie vor nicht – Bürgernähe ist anders, und auf diese Weise gewinnt Ihr die 2009 verlorenen Prozente garantiert nicht zurück. Glaubt Ihr wirklich, der Kampf um die Bürgerrechte wäre uns nicht ein paar Millionen wert? Gerade Ihr als Partei mit einer 150-jährigen Vergangenheit solltet das wissen.
In der oben benannten Star Trek-Folge antwortet übrigens der von Worf angesprochene Captain Picard dies: „Der Weg von einem legitimen Verdacht zu blindem Verfolgungswahn ist weitaus kürzer als wir denken.“ Man ist versucht, diesen Satz jedem amtierenden Innenpolitiker unter das Kopfkissen zu legen. Und natürlich auch den VDS-Fans der SPD.
Es grüßt herzlich,
Ihr JL7