Von Plagen und echten Gefahren

Wieder einmal hat Frau von der Leyen ein Interview gegeben, diesmal dem Hamburger Abendblatt. Und wieder einmal wird sie ihrem Ruf, Tatsachen zu verdrehen und mit den Ängsten und Vorurteilen der Bürger in diesem Lande zu spielen, gerecht. Und wieder bleibt nur zu widerlegen. Erledigen wir dies also möglichst schnell:

Mir geht es jetzt um den Kampf gegen die ungehinderte Verbreitung von Bildern vergewaltigter Kinder. Der Straftatbestand Kinderpornografie ist klar abgrenzbar. Doch wir werden weiter Diskussionen führen, wie wir Meinungsfreiheit, Demokratie und Menschenwürde im Internet im richtigen Maß erhalten. Sonst droht das großartige Internet ein rechtsfreier Chaosraum zu werden, in dem man hemmungslos mobben, beleidigen und betrügen kann. Wo die Würde eines anderen verletzt wird, endet die eigene Freiheit. Welche Schritte für den Schutz dieser Grenzen notwendig sind, ist Teil einer unverzichtbaren Debatte, um die die Gesellschaft nicht herumkommt.

Man kann im Internet nicht hemmungslos mobben, beleidigen und betrügen, weil es kein rechtsfreier Raum ist. Genau so wie im realen Leben werden  sind entsprechende Äußerungen und Taten im Internet nicht erst seit gestern strafbar und werden verfolgt – und meistens mit Erfolg. Frau von der Leyen, Sie müssen sich informieren, bevor Sie in offizieller Position als Bundesministerin solche Behauptungen aufstellen.

Aber ich finde es toll, dass diese jungen Menschen sich politisch engagieren, sich einmischen und mitmachen. Das ist der Anfang dafür, dass man auf eine jugendlich-forsche Art über den richtigen Weg ringt. Wenn ich die jungen Menschen aber frage, was sie vorschlagen, wenn die Server, die die Kinderpornografie verbreiten, unerreichbar für die Strafverfolgungsbehörden in fernen Ländern stehen, dann wissen sie auch keine Lösung. An diesem Punkt kann ein Staat aber nicht stehen bleiben, sondern die Gesellschaft muss miteinander einen Ausweg finden.

Abgesehen davon, dass viele der Gegner Ihres Internetsperrengesetzes weder jugendlich noch forsch sind: Wir wiederholen immer und immer wieder, dass die von Ihnen angesprochenen Server de facto nicht in fremden Ländern stehen, sondern auf einfache Weise erreicht und abgeschaltet werden können, und wir beweisen es sogar. Auch unbelehrbare Ignoranz macht daher Ihre Aussage nicht richtiger.

Genug davon.

Es ist erforderlich, das Vorgehen von Frau von der Leyen und anderen von einer höheren Warte aus zu beurteilen. Am  27. September finden die Wahlen zum Deutschen Bundestag statt, daher wird derzeit jede Gelegenheit genutzt, sich zu profilieren. Frau von der Leyens Wähler liegen im bürgerlichen Spektrum, und dieses bedient sie mit solchen Interviews. „Kampf gegen Schmutz im Internet wird verschärft“ – das passt perfekt ins Denkschema jener Bürger, die die böse Seite des Internet aus Fernsehfilmen und Nachrichten kennen. Die Verbrecher tummeln sich in Internet-Chats, auf ebay und sogar als osteuropäische Mitarbeiter der eigenen Bank. Wenn man nun noch den Gebrüdern Schmidtlein das Handwerk legt und nebenbei widerliche, rechte Webseiten unseren Blicken entzieht, dann kann das im Verständnis dieser Wähler so übel nicht sein. Und außerdem hätten sie die rechten Seiten sowieso nicht angesehen, also werden sie sie auch nicht vermissen.

Ich brauche hier nichts mehr über Zensur zu schreiben. Es ist klar, dass das Sperren von Webseiten mit nicht strafbaren Inhalten in jedem Fall Zensur ist. Kinderpornographie auf der anderen Seite ist vermutlich sehr gut zu identifizieren, daher wird die Fehlerquote recht gering sein – und das Sperren von strafrechtlich relevanten Webseiten ist keine Zensur. Die rechte  Propaganda ist aber nicht so einfach einzuordnen. Denn, wie der SPD-Abgeordnete Wiefelspütz auf abgeordnetenwatch.de völlig richtig bemerkt: „Man kann sich verfassungsfeindlich äußern, ohne sich strafbar zu machen. Sie können selbstverständlich straflos äußern, unseren Verfassungsstaat nebst Grundgesetz abzulehnen.“ Und schon wird es für das BKA schwer, statt eines Richters zu entscheiden, ob eine Seite strafrechtlich relevant ist.

Bei aller Aufregung und verständlichem Ärger über das von-der-Leyensche Vorhaben sollten wir jedoch das rechte Augenmaß behalten. Wegen der eben beschriebenen Problematik wird Deutschland kein Zensurstaat werden. Das Bundesverfassungsgericht wird dem Zugangserschwernisgesetz erwartungsgemäß den bisher fehlenden Richtervorbehalt zufügen, also die richterliche Kontrolle jeder Sperrverfügung, und damit unterliegt das Gesetz engen rechtsstaatlichen Grenzen. Das Bundesverfassungsgericht wird letztinstanzlich auch mögliche zukünftige Urteile beispielsweise des Hamburger Landgerichts über Sperrverfügungen bei Urheberrechtsverletzungen außer Kraft setzen.

Es ist grob fahrlässig, eine Internetzensur-Infrastruktur aufzubauen und vor möglichen Gefahren die Augen zu verschließen. Es ist aber auch töricht zu glauben, dass allein das Vorhandensein dieser Infrastruktur die Demokratie gefährdet. Wenn in Zukunft der demokratische Rechtsstaat „Deutschland“ in Gefahr gerät, dann nicht wegen Internetsperren, sondern wegen Gruppierungen, die den Staat mit seinen eigenen Mitteln bekämpfen. Wenn in Parlamenten rechtsradikale Gruppierungen einziehen, sind diese eine vielfach realere Gefahr als die besagte Infrastruktur. Sollte Deutschland noch einmal in Gefahr geraten, ein Unrechtsstaat zu werden, dann durch Wahlen und die Wähler radikaler Parteien. Erst dann können diese Radikalen auch die jetzt gebaute Infrastruktur nutzen. Ganz ehrlich – das ist dann meine geringste Sorge.

Wir sollten Frau von der Leyens Gutmenschengerede keinen zu hohen Stellenwert beimessen – sie ist gerade dabei, den Bogen zu überspannen, gerade in der CDU, in der sie ansonsten aufgrund ihrer familienpolitischen Überzeugungen eher eine Randposition einnimmt. Wir wissen, dass trotz des eindeutigen Abstimmungsverhaltens auch in den Parteien CDU und SPD keine hundertprozentig eindeutige Haltung zu diesem Thema existiert.

Es lohnt sich also, weiterhin gegen die Dummheit zu kämpfen. Wenn wir aber Position beziehen, dann nicht nur gegen jene, die einfach nicht begreifen (wollen), wie das Internet funktioniert, sondern auch gegen die, die nicht wahrhaben wollen, dass  Freiheit immer die des Andersdenkenden ist und nicht allein das Recht der Mehrheit.

Toleranz hat dort ihr Ende, wo sie genutzt wird, um Intoleranz zu entschuldigen. Verständnis für politisch und religiös Andersdenkende muss dort enden, wo man Fanatiker in Schutz nimmt,  wo verblendete Menschen anderen ihren Willen aufzwingen wollen. Aber es genügt nicht, nach Verboten zu rufen, wenn man gleichzeitig die rechtsradikalen Sprüche des Nachbarsohns verharmlost. Und es genügt auch nicht, Freiheit für das Internet auszurufen und gleichzeitig untätig zu bleiben, wenn Radikale Drohungen gegen Andersdenkende ausstoßen. Ich verweise hierzu gern auf Henryk M. Broders lesenswerte Kommentare.

Wir nehmen für uns in Anspruch zu wissen, wie das Internet tickt. Wenn wir das aber tun, dann müssen wir dort auch selbst  tätig werden und nicht nur Abgeordnete und vermeintliche Demokratiefeinde in den demokratischen Parteien mit E-Mails beglücken. Wir müssen auch Farbe bekennen und jene, die unsere Freiheit tatsächlich bedrohen, wissen lassen, dass wir ihre Machenschaften nicht tolerieren – nicht im Internet und auch nicht im realen Leben.

Ursula von der Leyens ständige Nadelstiche mögen eine Plage sein – aber sie ist nicht der Feind. Wenn sie nach der Wahl zur Gesundheitsministerin wird, wird sie ein neues Betätigungsfeld finden und uns vielleicht zusammen mit der Nachfolgerin von Frau Bätzing den Wein und das Bier austreiben. Herr Schäuble wird in die EU-Kommission wechseln und dort neue Sicherheitsideen entwickeln, die allesamt vom Bundesverfassungsgericht auf Konformität mit dem Grundgesetz überprüft werden können – in einem langwierigen, aber rechtsstaatlich einwandfreien Prozess, wie auch die Vorratsdatenspeicherung und das BKA-Gesetz.

Hundertzwanzig rechtsradikale Skinheads sind ein Fall für die Polizei. Eine Million Wähler rechtsradikaler Parteien sind ein Fall für uns alle. Und wir haben alles Recht dieses  Staates auf unserer Seite, etwas zu tun – im Internet und auch im realen Leben.

Herzlichst,

Ihr JeanLuc7

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