Piratendämmerung

Liebe Piraten,

von Eurem Parteitag in Neumarkt (Bayern) hörte man bereits im Vorfeld, dass er den entscheidenden Ruck zur Bundestagswahl geben solle: der Bettelpirat Ponader würde von Bord gehen, statt dessen sollten Programm und Themen für die Wahl im Vordergrund stehen. Nach den Erfahrungen der vergangenen Parteitage wurden zudem diesmal drei Tage eingeplant.

Zunächst das Positive: Ponader ist nun tatsächlich kein Vorstandsmitglied mehr. Statt seiner wurde die niedersächsische Wahlverliererin Katharina Nocun zur Sprecherin gewählt und hat nun die undankbare Aufgabe, Ponaders über Jahre unerledigte Aufgaben zu bearbeiten. Die Chancen stehen gut, dass sie keine Spendenaktion zu ihren Gunsten starten und auch Maus Frederick nicht wiederbeleben wird, denn einerseits arbeitet sie als Redakteurin bei netzwelt und für die Maus ist sie zu jung. Alles weitere wird sich zeigen. Hoffen wir, dass Ponader ab jetzt wirklich nur noch „Basispirat“ ist, wie er es in seiner letzten Rede auf dem Parteitag angedroht hat.

Nun das Negative: Was vor zwei Jahren in Offenbach dank tatkräftiger Unterstützung des Berliner Landesverbandes noch klappte (nämlich das zielgerichtete Beschaffen von 2/3-Mehrheiten bei strittigen Themen – damals dem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) – durch Beladen von Bussen mit Stimmwilligen), ging diesmal gründlich schief – die so genannte „Ständige Mitgliederversammlung“ (SMV) ist an 13 fehlenden Stimmen gescheitert und hat die Piraten in das nächste große Depressionsloch gestürzt.

Nicht-Piraten muss man zunächst erklären, was so eine SMV eigentlich ist: die Piraten beabsichtigen damit, den Bundesparteitag auf 365 Tage im Jahr auszudehnen und Beschlüsse übers Internet praktisch ständig zu fassen. So kann man schnell und umfassend auf neue Entwicklungen reagieren und Handlungsanweisungen geben. Die Berliner erhofften sich von diesem Gremium sogar eine topaktuelle Beeinflussung der Entscheidungen ihrer Leute im AGH (obwohl gerade die sich in Teilen als reichlich beratungsresistent erwiesen haben). Grundsätzlich also eine interessante Idee.

Es gibt aber auch Schatten. Wie in den 80ern die Grünen mit ihrem Rollierungsprinzip haben die Piraten in ihrer Mehrheit das Prinzip der indirekten Demokratie noch nicht verstanden. In dieser sind die vom Volk gewählten Abgeordneten nämlich nur ihrem Gewissen verpflichtet. Man kann also selbst durch hundertprozentige absolute Mehrheiten einen Abgeordneten nicht dazu zwingen, eine beschlossene Meinung der Partei zu vertreten. Denn die Parteien bestimmen die Politik nicht, sie wirken laut Grundgesetz nur an der Willensbildung mit. Wer gewählt ist, bleibt es für vier Jahre ohne weiteren direkten Einfluss.

Falls nun jemand das Wort „Fraktionszwang“ in die Runde wirft: so etwas kennt die deutsche Demokratie nicht. Offiziell heißt das, was dahinter steckt, die „Fraktionsdisziplin“ – eine Übereinkunft, im Zweifelsfall die Fraktionsmeinung zu vertreten, wenn nicht große Gewissensgründe dagegen sprechen. Solche Gewissensgründe gibt es immer wieder: beispielsweise haben seinerzeit vier Abgeordnete der Grünen gegen die Beteiligung der Deutschen an NATO-Einsätzen gestimmt.

Zudem sind Internet-Abstimmungen nach heutigem Stand der Technik nicht sicher, und sie setzen einen Zugang zum Internet voraus. Auch wenn man bei den heutigen Piraten eher davon ausgehen kann, dass sie vernetzt sind, sind dies Einschränkungen, die bei einer Klage gegen eine getroffene Entscheidung nicht unberücksichtigt bleiben würden.

Ein gewisser Teil der bereits in die Landtage gewählten Abgeordneten hat zudem begriffen, dass eine SMV ein ständiges Reinreden der Basis bedeuten würde. Im Ergebnis bedeutet das immer Streit: Entweder man kümmert sich um die SMV – dann hat man keine Zeit, seine Arbeit als Abgeordneter zu machen. Oder man kümmert sich nicht darum – dann wütet die Basis. Oder man versucht einen Kompromiss aus beidem – dann sind alle unglücklich. Offenbar haben die Piraten-Abgeordneten bereits früh begriffen, dass sie die Verlierer einer SMV wären.

Wie auch immer: die SMV ist vom Tisch, obwohl die (einfache) Mehrheit sie haben wollte. Und weil der Streit darum nicht beendet ist und genauso tief durch die Piraten geht wie seinerzeit der Linksruck durch das BGE, wird er die Piraten genauso tief spalten – passend zum Logo in Schwarz und Weiß.

Ich habe drei andere Fragen an die Piraten: Sind 2,5% bei der Bundestagswahl auch schon ein Erfolg? Oder müssen es 4,5% und damit ein halbes Prozent mehr als für die FDP sein? Und wer vertritt nun noch die Netzpolitik?

Es grüßt herzlich

JL7

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