In der Woche nach der Bundestagswahl häuften sich die Stimmen, die den Parteivorsitzenden der Liberalen Guido Westerwelle in das Amt des Wirtschaftsministers loben möchten. Einige fordern für ihn sogar ein Superministerium, in dem die Themen „Wirtschaft“ und „Finanzen“ zusammengelegt werden sollen.
Diese Wünsche und Forderungen sind berechtigt. Die FDP hat vor der Wahl intensiv mit wirtschaftspolitischen Themen geworben wie „Mehr Netto vom Brutto“ und „Ihre Arbeit muss sich wieder lohnen“. Natürlich sind das Wahlkampf-Plattheiten, denen man sich genauso wenig widersetzen mag wie dem SPD-Leitspruch „Unser Land kann mehr“. Erwähnte ich, dass die Sozialdemokraten die Wahl nicht gewonnen haben?
Dennoch – Guido Westerwelle hat den Wahlkampf auf seine Person und auf diese Themen zuschneiden lassen, und auch nach der Wahl stellte er Steuervergünstigungen und insbesondere ein Maximum an liberaler Politik in Aussicht. Während „liberal“ in der FDP durchaus auch im Sinne von „frei“ verstanden wird, ist Westerwelle klar auf eine Wirtschaftsliberalität ausgerichtet: Der Markt muss nur freier werden und mehr Geld zur Verfügung haben, damit die Wirtschaft wächst, mehr Menschen Arbeit haben und damit mehr Steuern zahlen, die wiederum dem Staat zusätzlich zur Verfügung stehen.
Diese Vision mag verlockend klingen, sie ist aber auch ein klassisches Beispiel für eine Milchmädchenrechnung:
- Eine Steuerreform bedeutet für den Normalbürger nur geringe Netto-Zuwächse. Ein Mehr von einem oder zwei Prozent ist einerseits für die Mehrheit der Bürger kaum wahrnehmbar. Auf einen Nettolohn von 1500 Euro bezogen bedeutet das 15 bis 30 Euro mehr im Monat – nicht sehr viel, um damit ein Wirtschaftswachstum auszulösen. Aber selbst hoch gerechnet auf 40 Millionen Einkommensempfänger bedeutet das nur einen Betrag von einer knappen Milliarde. Wir erinnern uns, dass das Vierfache dieses Betrages als sogenannte „Abwrackprämie“ die Autoindustrie neun Monate beflügelt hat, um jetzt trotzdem zu Umsatzeinbrüchen und Entlassungen zu führen.
- Leider entstehen durch höhere Nachfrage auch nicht sofort neue Arbeitsplätze. Es besteht aber ein direkter Zusammenhang zwischen Nachfrage und Angebot, der sich durch Preissteigerungen ausdrückt. Diese sind für die Unternehmen Mehreinnahmen und können für Investitionen genutzt werden. Es besteht allerdings auch eine reelle Chance, dass die Mehreinnahmen nur die Taschen einiger Weniger füllen. Auch in diesem Falle wäre die Kette unterbrochen, und es entstehen keine neuen Arbeitsplätze.
- Es ist auch nicht sichergestellt, dass neue Arbeitsplätze tatsächlich in Deutschland entstehen. Wiederum würden keine zusätzlichen Steuereinnahmen entstehen und damit die Vorinvestition des Staates nur in neuen Schulden endet.
Der FDP-Plan ist also ein Wagnis mit vielen Unbekannten. Das wissen auch in der FDP viele, und sicher weiß Guido Westerwelle um die Risiken seines Plans. Eine klassische Methode der Schadensbegrenzung ist nun, den Plan zwar zu formulieren, aber anderen die Umsetzung zu überlassen. Damit kann man den reinen, unverfälschten Plan selbst vertreten und bei seinem Scheitern die anderen verantwortlich machen, die das eigene Konzept verwässert und nur unzureichend umgesetzt haben. „Die anderen“ – das sind vermutlich Karl Theodor (…) von und zu Guttenberg (CSU) und Rainer Brüderle (FDP), die als Finanz- und Wirtschaftsminister die Bundesrepublik für die nächsten Jahre im wirtschaftlichen Umfeld führen möchten. „Man“ – das ist in unserem Falle der strahlende Wahlsieger Guido Westerwelle, der weiterhin auf Wahlkämpfen Steuersenkungen fordern darf, ohne erklären zu müssen, wie seine Forderungen finanziert werden sollen, und warum sein Konzept trotz der innewohnenden Genialität nicht funktioniert.
Eine solche bequeme Position bietet das Außenministerium für Herrn Westerwelle. Als Quereinsteiger wird er dort nach dem obligatorischen Englisch- und Diplomatiekurs die Politik seiner Vorgänger fortführen – im wesentlichen bestimmt von den Beamten, die ihm zuarbeiten. Und wenn es wirtschaftlich in Deutschland nicht so bergauf geht wie versprochen, dann liegt das an der Umsetzung und nicht am Konzept. Freuen wir uns auf viele weitere „Ich hab immer gesagt…“ aus dem Munde des FDP-Chefs.
Träumen wir trotzdem noch einmal von der Welt, in der Guido Westerwelle jeden Morgen zur Arbeit ins Superministerium fährt. Träumen wir weiterhin davon, dass nicht nur das Super-, sondern auch das Außenministerium vom Kandidaten mit dem besten Potenzial geführt würde. In unserem Traum liegt nun vor uns die Liste mit allen passenden Vorschlägen. Der Name „Guido Westerwelle“ fehlt…
Manchmal ist das Aufwachen richtig unangenehm.
Herzlichst,
Ihr JeanLuc7