Einmal Mittelalter – und zurück?

Werte Leserinnen und Leser,

wissen Sie, was ich am Absolutismus so schätze – von der Herrscherseite aus gesehen? Das Absolute. Egal, was du tust, letztlich kritisiert dich niemand. Selbst Kriege beließen die Verlierer gewöhnlich auf ihren Thronen  – bis die Revolutionen des achtzehnten Jahrhunderts dem ein Ende machten und auch die Köpfe der Herrscher rollten. Nun mehren sich jedoch die Anzeichen, dass der Absolutismus in der Türkei einen neuen Anhänger gefunden hat.

Recep Tayyip Erdogan, seines Zeichens türkischer Ministerpräsident und Vorsitzender der islamischen Partei Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP), wurde im Juli 2011 zum dritten Mal auf den Posten des türkischen Regierungschefs gewählt, und offenbar ist ihm dabei der Erfolg so sehr zu Kopf gestiegen, dass er nun glaubt, sein Land mit der halben Bevölkerung hinter sich und der anderen Hälfte vor den Läufen der Pistolen seiner Polizisten regieren zu können. Er tritt persönlich beleidigt und engstirnig auf, wo Weitsicht, Vernunft und Toleranz angebracht wären.

Seit Wochen demonstrieren die Menschen in den Städten für mehr Toleranz und weniger muslimische Ordnung. Sie wollen Alkohol trinken, feiern und sich weltoffen geben können. Erdogan aber möchte lieber eine Türkei nach seinem Weltbild und hat dafür auch eine Mehrheit hinter sich. Allerdings hat in einer Demokratie – die die Türkei noch immer ist – die Mehrheit die Minderheiten zu achten und zu schützen. Aber das Gegenteil geschieht dort: Friedliche Menschen werden brutal niedergeknüppelt und misshandelt, ihre Zelte am Taksim-Platz abgefackelt – selbst die Polizei ist sich inzwischen nicht mehr sicher, ob ihr Einsatz noch tolerierbar ist. Erdogan bleibt jedoch bis auf weiteres uneinsichtig und droht sogar, die eigenen Anhänger zu mobilisieren.

Für mich ist der Beitritt der Türkei in die EU mit den Aktionen der letzten Wochen in allerweiteste Ferne gerückt. Ein Regierungschef, der dem eigenen Volk mit einem Bürgerkrieg droht? Das hatten wir zuletzt im Balkan – und hunderttausende Tote dazu.

Erdogan ist vielleicht Absolutist, aber er ist nicht Heinrich VIII. – wir müssen also nicht bis zu seinem Tode auf sein Abtreten warten. Vielleicht begreift er noch, dass seine aktuelle Haltung dieses Abtreten wesentlich beschleunigen wird. Falls nicht, wird die Türkei eine blutige Zeit erleben. Das gelingt offenbar auch modernen Absolutisten – aber danach folgt heutzutage die Strafe, und zwar bereits im Diesseits.

Machen Sie es richtig, Herr Erdogan! Egon Krenz bekommt heute Rente vom Staat – das hätte vor 20 Jahren auch niemand gedacht.

Es grüßt herzlich

JL7

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