Werte Leserinnen und Leser,
Frau Merkel hat sich – ganz entgegen ihrer üblichen Vorgehensweise – dieser Tage klar zu den Überwachungsplänen des BND geäußert. Auch Deutschland müsse sich im Internet gegen mögliche Angriffe von Terroristen schützen, erklärte sie in einem RTL-Interview. Und weiter:
„Wir sind darauf angewiesen, dass wir selber aktionsfähig werden und nicht bedingungslos Terroristen ausgeliefert sind. Und die Kommunikation findet eben heute im Internet statt“
Darüber lohnt sich das Aufregen nicht, auch wenn man vielleicht darüber diskutieren könnte, ob „bedingungslos“ das neue „alternativlos“ in Merkels Reden wird. Für die SPD und ihre welke Wahlkampagne könnte das hingegen ein echter Hit werden, bestünde hier doch einmal eine Chance, sich nicht als das kleinere Übel, sondern als echte Alternative darzustellen. Ich stelle mir das so vor:
Steinbrück: „Wir sind den Freiheiten und Rechten der Bürger genauso verpflichtet wie deren Sicherheit. Wir stellen uns daher gegen eine verdachtslose und ausufernde intransparente Überwachung deutscher und ausländischer Bürger durch Geheimdienste. Wir wissen aus vielfacher Vergangenheit, dass mehr Überwachung die Freiheit aller einschränkt oder sogar abschafft, dass wir zudem unsere scheinbar höhere Sicherheit mit Angst und Schrecken bei den Bürgern bezahlen – Angst vor dem Staat, der sie beschützen und ihre Grundrechte wahren soll. Ich sage: Wir machen da nicht mehr mit. Mit uns wird es ein gutes Gleichgewicht zwischen notwendigen Schutz- und Ermittlungsmaßnahmen einerseits und der Freiheit und den Grundrechten aller Bürger andererseits geben. Ich sage Ihnen die Wahrheit: hundertprozentige Sicherheit kann und wird es in einem freiheitlich-demokratischen Land wie unserem nicht geben – das Attentat von Boston beweist, dass man Extremisten auch mit der besten Überwachung nicht vollständig aufhalten kann. Aber wenn wir den von der CDU, Minister Friedrich und Frau Bundeskanzlerin Merkel eingeschlagenen Weg weiter gehen, werden wir bald in einem Staat leben, in dem die Worte „Einigkeit und Recht und Freiheit“ ihre Bedeutung verloren haben werden. Ich sage es noch einmal: Wir haben – schließlich – verstanden. Mit uns wird es keine verdachtslosen Überwachungsmaßnahmen und keine intransparenten Datensammlungen durch Geheimdienste geben. Diesmal haben Sie die Wahl – entscheiden Sie, ob Deutschland mit Frau Merkel den Weg in den Überwachungsstaat gehen oder mit uns wieder zurückkehren soll zum freiheitlichen, gemeinschaftlichen Umgang miteinander.“
So wird es aber nicht kommen; diesen Wahlkampfschlager wird sich die SPD komplett entgehen lassen. Die angeblich Internet-kompetente Gesche Joost (Teil des Kompetenzteams von Peer Steinbrück) hat auf die Frage nach der Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung schon mal vorsorglich mit „Nein, im engen Rahmen des Bundesverfassungsgerichts umsetzen“ geantwortet.
Und Herr Steinmeier, ohnehin nicht gerade ein Freund allzu ausufernder Bürgerrechte, hat kürzlich noch einmal die irre Position der SPD zum Leistungsschutzrecht erklärt: „Die Gratiskultur des Internet bedroht den Qualitätsjournalismus im Kern. Wir brauchen neue, für Nutzer akzeptable Bezahlmodelle im Netz. Aber wir brauchen auch ein modernes Leistungsschutzrecht.“ Klingt fast so, als hätten die Nutzer die Gratis-Verbreitung von Zeitungen im Internet eingerichtet und seien selbst schuld an diesem Springer-Lobbygesetz.
Schade – es hätte doch noch ein spannender Wahlkampf werden können. Warum hat sich die SPD eigentlich seinerzeit von der CDU abgespalten? Oder von der Linken? Oder den Grünen? Ich weiß das nicht mehr so genau…
Es grüßt herzlich
Ihr JeanLuc7