Private Vorsorge

Werte Leserinnen und Leser,

am gestrigen Abend lud Frau Anne Will zu ihrer allwöchentlichen Talk-Runde, und es ging – wie zu erwarten – um den NSA-Skandal. Die FAZ hat eine lesenswerte Frühkritik zu dem Gespräch veröffentlicht. Insbesondere hat sich Sigmar Gabriel als Kämpfer für die Freiheit hervorgetan:

„Die Freiheitsrechte sind das wichtigste in unserer Verfassung, dafür haben viele Menschen ihr Leben geopfert. Der Staat muss begründen, nachweisen, kontrollieren, wie weit er diese Freiheitsrechte im Einzelfall und nur dann, wenn schwere Straftaten zu befürchten sind, eingrenzen darf. Und jetzt erleben wir das genaue Gegenteil. Das ist die Zerstörung unseres Wertefundaments, mit dem wir in der Vergangenheit unsere Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten und die Europäische Union begründet haben.“

Einmal abgesehen davon, dass ich mich freue, nun endlich auch mal einen SPD-Politiker so etwas sagen zu hören, hat Gabriel in diesem Punkt recht, und seine Dramatisierung greift nicht zu kurz. Der geladene Leiter der Transatlantic Networks, Andrew Denison, brachte die Situation sogar noch drastischer auf den Punkt:

„Amerika wird alle Datenströme speichern und analysieren. Die NSA ist dazu da, die Gesetze anderer Länder zu brechen, nur die amerikanischen nicht.“

Während Sigmar Gabriels Versuch, wenig später die europäische Variante der Vorratsdatenspeicherung zu rechtfertigen, fehlschlagen musste, brachte Constanze Kurz vom Chaos Computer Club das Thema auf eine einfache Formel:

Die Optionen für die Zivilbevölkerung liegen klar auf dem Tisch. Entweder, die Bürger warten, „bis die Politiker sich besonnen haben“, oder sie finden eigene Wege hin zur „digitalen Mündigkeit“. Die Politik spielte dann als Garant individueller Bürgerrechte allerdings kaum noch eine Rolle. Unternehmen hätten längst verstanden, dass die derzeit diskutierten Überwachungsprogramme hauptsächlich der Wirtschaftsspionage dienten und sie sich auch ohne politische Unterstützung zur Wehr setzen müssen. Dieses Bewusstsein breite sich nun auch unter Bürgern aus, die sich um den Schutz ihrer Privatsphäre selbst kümmerten.

Sigmar Gabriel bezeichnete das als bedauernswerte „Privatisierung des Rechtsstaats“,. Er ärgere sich selbst darüber, dass er „jetzt persönlich für digitale Sicherheit sorgen muss“. Die politischen Antworten, gestand er abschließend ein, „werden viel Zeit brauchen“.

Damit wissen wir jetzt, woran wir sind. Offenbar sieht sich der Staat (hier also die Bundesrepublik Deutschland) nicht fähig, seine Bürger zu schützen. Eine erste Reaktion unsererseits sollte daher tatsächlich private Vorsorge sein – indem wir Software zur  Mailverschlüsselung installieren und uns bewusst werden, dass Telefon, SMS, Skype, Facebook und alle anderen Arten digitaler Kommunikation belauscht und gespeichert werden und gegen uns verwendet werden können – und diese Kommunikationsmittel daher angemessen nutzen. Machen wir das Leben den Schlapphüten einfach schwerer!

Nicht zuletzt steht am Ende dieser Privatisierung allerdings eine Systemfrage. Das Gewaltmonopol des Staates beruht darauf, dass die Bürger zugunsten des Rechtsstaats auf eine eigene Durchsetzung ihres Rechts verzichten – und damit auch auf Gewaltanwendung.

Was aber, wenn der Staat die Sicherheit der Bürger nicht mehr gewährleisten kann?

Es grüßt herzlich,

Ihr JeanLuc7

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