Werte Leserinnen und Leser,
In den vergangenen Tagen hat das Für und Wider der Vorratsdatenbspeicherung (VDS) wieder einmal für Schlagzeilen gesorgt. Die Große Koalition findet die VDS klasse, aber der Justizminister ist nicht so richtig dafür, und die EU erwartet ein Urteil, das erwartungsgemäß ungefähr dem entsprechen wird, das das Bundesverfassungsgericht schon 2010 gefällt hat: kürzere Speicherzeiten (bisher 6 Monate bis 2 Jahre), nur für schwere Straftaten.
Politiker und konservative Presse werden zudem nicht müde, uns zu versichern, dass sowieso nur gespeichert würde, was schon da ist, nämlich Daten, die die Provider für ihre Abrechnung benötigen und bisher nur ein wenig früher löschen. Man kann dies als Märchen oder auch als Lüge bezeichnen, denn es werden bei der VDS zusätzliche Daten gespeichert, die die Provider bisher nicht interessierten – beispielsweise, wo und wann Sie mit Ihrem Smartphone online gehen oder wem Sie wann eine eMail gesandt haben. Mit diesen personenbezogenen Daten lassen sich komplette Bewegungsprofile erstellen.
Ein weitaus kritischeres Märchen ist aber der behauptete Zweck der VDS, nämlich die unmittelbare Verfolgung schwerer Straftaten. Denn bei diesen Verbrechen liegt die Aufklärungsquote mit den bisherigen konventionellen Mitteln bereits bei 97%, und ein Gutachten des Deutschen Bundestags (!) zeigte, dass diese Quote auch durch die VDS nicht zu steigern wäre.
Nein – der eigentliche Zweck ist der mittelbare Zugang, also die nachträgliche Abfrage, wenn bereits ein Anfangsverdacht besteht. Dieser mittelbare Zugang ist nicht an die hohen Hürden des BVerfG gebunden – es besteht ja bereits ein Anfangsverdacht – und kann daher sogar bei Parkverstößen eingesetzt werden, sofern das Gesetz das vorsieht. Im vergangenen Jahr haben wir erlebt, dass bei der verwandten „Bestandsdatenauskunft“ genau dies – die Abrufbarkeit bei Ordnungswidrigkeiten“ – ins Gesetz geschrieben und gegen die Empfehlung der befragten Experten beschlossen wurde. Die Geheimdienste (hier der Verfassungsschutz) werden ohnehin Sonder-Zugriffsrechte bekommen, alles andere wäre eine echte Überraschung.
Bei allem Verständnis für die Strafverfolger und ihren Wunsch, alle Straftaten und Ordnungswidrigkeiten aufzudecken und aufzuklären: die VDS ist eine Atombombe, die auf Spatzen abgeworfen wird. Man löst ein paar Fälle, bei denen man bisher mangels Beweisen aufgeben musste. Dafür schafft man eine riesige Datenmenge, die irgendwann auch in die falschen Hände fallen wird. An der VDS sind viele Provider beteiligt, viele Standorte und viele Menschen. Einer wird einen Fehler machen, irgendwann. Und dann wird in den konservativen Kreisen wieder einmal die Technik schuld sein – nicht der Mensch.
Reden wir nicht davon, dass die Vorratsdatenspeicherung eine Misstrauenserklärung der staatlichen Organe gegen die Bürger ist. Wer um Vertrauen wirbt – und das sollten Regierungen in freiheitlich-demokratischen Staaten immer tun – braucht keine solchen Gesetze. Jedoch ist der einzige Weg, den Missbrauch der Daten zu vermeiden, deren Vermeidung. Daten, die nicht vorhanden sind, kann nicht einmal die NSA mit all ihren tollen Gadgets und cleveren Programmierern speichern. Unser Staat wird zudem nicht im Verbrechen ersticken, nur weil die Anwälte ein paar Raubkopierer nicht abmahnen können.
Dass sogar Journalisten für die VDS eintreten, ist sehr bedenklich. Denn zukünftig wissen der Staat und die speichernden Unternehmen, wo und wann sie welchen Informanten getroffen haben. Das wäre dann das Ende des investigativen Journalismus.
Es grüßt herzlich,
Ihr JL7