In Ihrem Artikel „Im Netz der Piraten“, erschienen in der ZEIT Nr. 18/09 und auch kostenlos online einsehbar, beklagen Sie die geringe Bedeutung, die das Urheberrecht für viele im Internet hat. Damit haben Sie recht. Kostenlose Downloads aller digitalen Medien sind durch Tauschbörsen wie „Pirate Bay“ heute einfacher als jemals zuvor, und die meiste jugendlichen bis jungerwachsenen Nutzer haben größtenteils kein Unrechtsbewusstsein. Die deutsche Rechtsprechung hat hier mit dem 1. und 2. Korb der Urheberrechtsnovelle absichtlich keinen Freibrief für minderschwere Fälle ausgestellt, aber es bleibt noch viel zu tun, um der Zielgruppe das Verständnis für den – auch finanziellen – Wert der Kunst und Kultur wieder nahezubringen. Dies ist allerdings seit Jahren allgemeines Grundverständnis und bedarf keines Urteils eines schwedischen Gerichts.
Allerdings, Frau Gaschke, erliegen Sie dann der Versuchung, das PirateBay-Urteil in eine Linie mit der Sperrverfügung von Familienministerin von der Leyen zu stellen – und widerlegen sich damit in Ihrem Wunsch nach Freiheit für Literatur, Kunst und Wissenschaft selbst. Denn der vom Bundeskabinett in dieser Woche verabschiedete Gesetzentwurf ist vor allem auf Geheimhaltung der gesperrten Seiten ausgelegt und ermöglicht so nicht künstlerische Freiheit, sondern Zensur.
Tatsächlich entsteht mit der Änderung des Telemediengesetzes – richtig erkannt – ein probates Mittel, auch urheberrechtlich geschütztes Material zu filtern. Dieter Gorny, Vorsitzender des Bundesverband Musikindustrie, hat deshalb schon vor Wochen gefordert, die vom BKA erstellte und geheime Sperrliste auch auf Seiten mit Urheberrechtsverletzungen zu erweitern. Und einige Bundesländer forderten bereits, rechtsextreme und Glücksspielseiten ebenfalls aufzunehmen.
Aber kulturelle und wissenschaftliche Freiheit sieht anders aus. Wenn Sie dem Heidelberger Appell voll zustimmen und gleichzeitig Sperrverfügungen fordern, dann schütten Sie das Kind mit dem Bade aus. Denn so sehr wir Urheberrechtsverletzungen verurteilen und deshalb unter Strafen stellen, müssen wir achtgeben, welche Mittel wir dazu fordern. Die jetzt beschlossene Sperrverfügung baut auf eine geheime und von keiner Instanz, auch nicht von Richtern kontrollierte Liste. Damit ist es jederzeit möglich, nicht nur illegale, sondern auch missliebige oder umstrittene Inhalte auszublenden. Einmal etabliert und auf mehr als Kinderpornographie ausgeweitet, ist der Wildwuchs von Sperrungen nicht mehr aufzuhalten.
Daher gehört das von Ihnen geforderte Stopp-Schild für den illegalen kostenlosen Konsum kultureller und wissenschaftlicher Inhalte in unsere Köpfe und nicht in die Sperrverfügung eines BKA. In einem freiheitlichen, demokratischen Rechtsstaat sind Zugriffsverbote – zumal unkontrollierte – abzulehnen, wo immer man sie vermeiden kann. Denn die Grenzen sind nicht scharf zu ziehen, sondern fließend. Was, wenn journalistische Arbeit sich innerhalb dieser Grenzen bewegt, wie beispielsweise bei den Datenskandalen der Telekom und der Bahn? Man bedenke: Wirksame Sperrverfügungen bedeuten im Umkehrschluss, dass alle Inhalte gefiltert und geprüft werden müssen!
Ich möchte Ihnen, den 1300 Unterzeichner des Heidelberger Appells und allen weiteren Unterstützern von Sperrverboten im Internet ein bekanntes Zitat von Eric Satie entgegenhalten: „Mit dem ersten Glied ist die Kette geschmiedet. Wenn die erste Rede zensiert, der erste Gedanke verboten, die erste Freiheit verweigert wird, dann sind wir alle unwiderruflich gefesselt.“ Urheberrechtsverletzungen müssen verhindert werden – aber Stopp-Schilder sind nicht der Weg, den wir dazu einschlagen dürfen.
Herzlichst, Ihr JeanLuc7
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Frau Susanne Gaschke ist Redakteurin bei der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. Zu ihren Themen-Schwerpunkten gehören Familien- und Bildungspolitik. In jüngster Zeit wendet sie sich besonders Urheberrechtsfragen zu, wobei sie energisch die bildungs- und kulturkonservative Position des Heidelberger Appells einimmt. (Quelle: wikipedia.de)
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