Das Netz bleibt neutral

Werte Leserinnen und Leser,

weithin unbeachtet hat gestern das Europäische Parlament eine weitgehende Festschreibung der sogenannten Netzneutralität beschlossen. Dieses Thema ist weit weniger griffig als ACTA und das atlantische Freihandelsabkommen TTIP und hatte daher aufseiten der Netzpolitiker nur wenige echte Unterstützer – der Beschluss ist daher eine kleine Sensation.

Was steckt dahinter? Internetprovider wollen sich die Nutzung ihrer Leitungen zukünftig gerne doppelt bezahlen lassen – von jenen, die Daten abfordern (wir, die Nutzer) und von jenen, die sie anbieten. Warum sollte ein Anbieter zahlen? Weil er einen speziellen, datenintensiven Dienst betreibt wie beispielsweise Youtube. Etwa 80% der transportieren Daten sind Videoströme – daraus sollte sich doch ein hübsches Geschäft machen lassen.

Das Geschäftsmodell besteht nun darin, die Daten von bezahlenden Unternehmen schneller und in höherer Bandbreite durchs Netz zu schleusen als die von kostenlosen Einspeisern. Die Folge wären ruckelnde Videos bei den Sparfüchsen, während Youtube auch HD in bester Qualität präsentieren könnte. Zusätzlich könnte man auch noch den Nutzer bezahlen lassen – für jeden Videostrom extra.

So hatte es sich die Telekom im vergangenen Jahr gedacht und ihre neuen Pakete gedrosselt auf ein Monatsvolumen von 70GB. Nur wer mehr zahlt, bekommt auch mehr – das sollten einerseits die Vielnutzer und andererseits die Nutzer des hauseigenen Angebots T-Entertain sein. Denn dieses war von Anfang an von der Drosselung ausgenommen.

Während die Telekom zur Drosselkom wurde, fand die Bevorzugung einzelner Dienste und damit die Benachteiligung des freien Internet kaum Beachtung. Dafür setzte sich die zuständige EU-Kommissarin Nellie Kroes an die Spitze der Verteidiger der Netzneutralität – und brachte den Zug im gegnerischen Lager zum Halten. Denn ihr Vorschlag für eine EU-weite Netzneutralität beinhaltete exakt das, was sich die Telekom-Unternehmen darunter vorstellten – ein Internet, bei dem alle für jeden schnellen Dienst extra zahlen dürfen. Möglich wurde das, indem man die schnellen Dienste zu „Managed Services“ erklärte, die mit dem normalen Internet nicht vergleichbar seien. Man kennt das aus der Lebensmittelindustrie: dort kann man Brühwürfel kaufen oder Käfers Suppenfond (für ein Vielfaches des Preises) – in beiden ist das gleiche drin, nur Käfer packt noch Wasser dazu.

Nun hat aber das EU-Parlament dem Treiben ein Ende gesetzt. Sämtliche Verwässerungsklauseln wurden aus einer Entschließung entfernt, in der das Parlament neben dem Ende der Roaming-Gebühren in Deutschland (darüber wurde intensiv berichtet) auch eine sehr klare Netzneutralität in Europa beschloss. Managed Services sind erlaubt – sofern die Bandbreite des normalen Internet darunter keinesfalls leidet.

Nun müssen die einzelnen Länder zustimmen. Hier haben die Telekom-Firmen noch die Chance der Lobbyarbeit. Allerdings werden sie den Entschluss nicht komplett drehen können. Denn sie müssen zwar kostenlose Dienste mit hohem Tempo durchleiten, aber ihre Services sind ihnen nicht untersagt.

Ein guter Tag für die Netzneutralität und das EU-Parlament. Manche in Brüssel sind gar nicht so, wie allgemein angenommen wird. Das sind übrigens die, die wir demnächst wählen dürfen.

Es grüßt herzlich

Ihr JL7

 

 

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