Warum Vorratsdatenspeicherung nicht gleich Vorratsdatenspeicherung ist

Werte Leserinnen und Leser,

der Europäische Gerichtshof hat entschieden: Die europäische Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen europäisches Recht und ist damit nichtig. Sie „beinhaltet einen Eingriff von großem Ausmaß und besonderer Schwere in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf den Schutz personenbezogener Daten, der sich nicht auf das absolut Notwendige beschränkt“.

Damit sind sämtliche Landesgesetze zur Vorratsdatenspeicherung hinfällig, egal ob sie eher restriktiv wie in Schweden oder völlig offen wie in Ungarn (wo praktisch jeder Dorfbüttel unkontrolliert auf die Daten zugreifen darf). Die Strafzahlungskeule, mit der die EU lange Zeit Deutschland gedroht hat, ist ebenfalls zu Staub zerfallen.

Gute Nachrichten? Sicher ein Grund, einmal die Korken knallen zu lassen, denn viel zu selten sind Erfolge für die Freiheit im Bereich der Netzpolitik zu feiern. Aber schon heute Abend werden uns die Koalitionspolitiker Wasser oder gar Essig in den Sekt gießen, denn wir werden die Geburt eines neuen Monsters erleben: eine nationale Vorratsdatenspeicherung.

Man muss es immer wieder betonen; die Vorratsdatenspeicherung umfasst vielfältige Metadaten: wer mit wem wann telefoniert, eine SMS tauscht oder eine eMail schickt. Wer wann und wo ins Internet geht und es wieder verlässt. Auch wenn die Inhalte, also der Text der SMS, der eMails, das Telefongespräch oder die einzelnen aufgerufenen Webseiten nicht gespeichert werden: die Metadaten genügen oft vollauf, um komplette Beziehungsgeflechte und Bewegungsprofile zu erstellen und sogar das soziale Umfeld zu ermitteln. Ein Beispiel: wenn Sie sich alle paar Wochen in der Nähe einer HIV-Schwerpunktpraxis und danach in der Nähe einer Apotheke aufhalten, weiß man auf Basis der Metadaten bereits, dass Sie HIV-positiv sind. Die NSA hat das gut erkannt und ist deshalb vor allem an den Metadaten und nicht so sehr an den Inhalten interessiert. Es ist und bleibt aber eine Lüge, wenn uns die Innenpolitiker wieder und wieder erklären, die VDS sei bloß eine digitale Form des Einzelverbindungsnachweises, weil sie eben viel mehr Daten enthält.

Man wird uns nun erklären, dass eine nationale Vorratsdatenspeicherung der inneren Sicherheit und den Geheimdiensten dient und selbstverständlich konform mit nationalen und europäischen Gesetzen sein wird. Und natürlich wird sie gebraucht im Kampf gegen Kinderpornographie und andere schwere Verbrechen.

Warum eigentlich? Die Aufklärungsquote bei Internet-Straftaten ist höher als die im realen Leben, gemäß einer Studie des Max-Planck-Instituts steigert die VDS zudem die Aufklärungsquote allerhöchstens im Promillebereich. Warum also ist die Polizei so geil auf diese Daten?

Weil sie offenbar die Anfangsarbeit der Polizei vereinfacht. Man kann Beziehungsgeflechte durch traditionelle Ermittlungsarbeit erkennen – man kann sich aber auch per VDS anzeigen lassen, wer mit wem kommuniziert und hat so schnelleren Zugriff auf dieselbe Information – aber eben auch auf viele, viele mehr. Dann hat man eine Menge Verdächtige, von denen die meisten nicht einmal wissen, dass sie gerade ausgesiebt wurden. Diese muss man dann mühsam aus dem relevanten Geflecht entfernen. Oder man stellt alle unter Verdacht in der Hoffnung, dass sich der Täter schon von selbst zu erkennen gibt.

Man sieht bereits – die Polizeiarbeit wird insgesamt durch die VDS nicht einfacher, sondern bloß anders – mit mehr Generalverdacht statt begründeter Untersuchung. Und dass es auch ohne geht, sieht man an der Zeit seit 2010 – für keinen von uns ist deswegen die Welt untergegangen.

Dennoch werden die Polizeien der Länder und des Bundes und auch die Geheimdienste auf ihrem neuen Werkzeug beharren, und daher werden unsere Politiker uns eine deutschlandweite Umsetzung verkünden, egal, was die EU sagt. Man ist ja so grundgesetzkonform und wird den gesetzten Rahmen nur bis ins letzte ausschöpfen. Mit der deutschen VDS wird alles gut.

Wenn man sich da mal nicht irrt. 2010 hat das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung, die deutsche VDS für verfassungswidrig zu erklären, auf Basis der damaligen Erkenntnisse gefasst. Niemand dachte an die NSA, den Austausch von Metadaten durch Geheimdienste oder das G10-Gesetz. Diese Situation hat sich grundlegend geändert. Inzwischen sind die damaligen „Verschwörungstheorien“ real und sogar durch die Realität überholt. Ob das Gericht eine VDS auch jetzt noch für mit dem Grundgesetz vereinbar erklären würde, darf bezweifelt werden.

Business as usual also: Es wird ein neues Gesetz geben, die Regierung wird stolz, die Polizeien zufrieden sein. Es wird eine neue Klage vor dem Bundesverfassungsgericht geben, die dann in etwa vier Jahren entschieden wird.

Bis dahin besteht immer noch Hoffnung, dass wenigstens ein paar Spitzenpolitiker der SPD begreifen, dass Freiheit nicht beim Datenschutz aufhört. Und dass der Staat ein größerer Bruder sein kann als Facebook und google zusammen.

Ich genehmige mir trotzdem einen Sekt.

Es grüßt herzlich

Ihr JL7

 

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