Hurra! Ad ACTA!

Werte Leserinnen und Leser,

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Vorratsdatenspeicherung komplett verfassungswidrig ist. Alle bereits erfassten Daten sind sofort zu löschen.

Das ist ein Grund zum Feiern. Es ist aber vor allem ein Beweis dafür, dass einerseits die Kontrollinstanzen dieses Staates nach wie vor mit voller Leistung arbeiten  und andererseits unsere Politiker (der letzten Bundestagsgeneration – fairerweise) ein weiteres Gesetz gebastelt haben, das jenseits der verfassungsmäßigen Grenzen lag. Totalversagen auf ganzer Linie also.

Allerdings offenbart sich im Rahmen der Gesetzgebung eine verhängnisvolle Verkettung von vorauseilendem Gehorsam. Das Unglück nahm in Brüssel seinen Lauf:

  • Zunächst wurde diskutiert, ob und inwieweit der Rat der Europäischen Union die Mitgliedstaaten durch einen Rahmenbeschluss zur Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten verpflichten kann oder ob ein derartiger Beschluss der Zustimmung des Europäischen Parlaments bedarf, beispielsweise über eine EG-Richtlinie.
  • Nach längeren Diskussionen über die Art und Weise des Gesetzgebungsverfahrens stimmte am 14. Dezember 2005 das Europäische Parlament mit den Stimmen der Christdemokraten und der Sozialdemokraten  für die umstrittene Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung.
  • Am 21. Februar 2006 stimmte der Rat ohne weitere Aussprache durch die Innen- und Justizminister mehrheitlich für die Richtlinie; die Vertreter Irlands und der Slowakei stimmten gegen die Richtlinie.
  • Während in Deutschland der Deutsche Bundestag noch  am 17. Februar 2005  eine Mindestspeicherfrist ausdrücklich ablehnte, forderte der nachfolgende Bundestag am 15. Februar 2006 die Bundesregierung auf, den sogenannten Kompromissvorschlag für eine EG-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung im Rat der Europäischen Union zu unterstützen. Der Beschluss wurde mit den Stimmen der Großen Koalition gefasst.
  • Am 9. November 2007 wurde das Gesetz in namentlicher Abstimmung von der Mehrheit der Abgeordneten des Bundestags verabschiedet, am 26. Dezember 2007 vom Bundespräsidenten unterzeichnet. Es trat am 1. Januar 2008 in Kraft trat. Die deutsche Umsetzung erweitert den Einsatzbereich der Vorratsdatenspeicherung auf weitere Fälle wie die Verfolgung von Ordnungsmaßnahmen und ändert zusätzlich das Telekommunikationsgesetz um die verpflichtende Speicherung der Zuordnung zwischen Anschlusskennung und Identität.

Schon damals haben einige SPD-Abgeordnete nur deshalb zugestimmt, weil sie bereits von einer Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz ausgingen – welch seltsame Achtung des Parlaments! Es ist auch fraglich, wie viele Abgeordnete die EU-Richtlinie und das zugehörige Gesetz tatsächlich gelesen haben.

Nun also gehört das Gesetz in seiner jetzigen Form der Vergangenheit an, und selbst in der EU diskutiert man wieder über die Verhältnismäßigkeit der damals erlassenen Richtlinie. Sollten die Ereignisse rund um das SWIFT-Abkommen hier bereits Wirkung zeigen?

In einem anderen Fall, der uns demnächst eine neue Richtlinie bescheren wird, ist der Lerneffekt jedenfalls noch nicht zu bemerken. Das Anti-Piraterieabkommen ACTA, derzeit diskutiert zwischen den USA, der EU, aber auch Ländern wie Jordanien, Marokko und den Vereinigten Arabischen Emiraten, soll den Kampf gegen Produktpiraterie verbessern. Es wird heimlich verhandelt, und wie sich zeigt, ist das in Deutschland federführende Bundeswirtschaftsministerium auch nicht an einer offenen Diskussion interessiert. Inzwischen hat das EU-Parlament, das mit dem Luxemburger Vertrag neue Zustimmungsrechte erhalten hat, erstmals die geheimen Verhandlungen kritisiert – zu Recht, denn das, was dort Stück für Stück aus den verschlossenen Sälen hervordringt, klingt eher nach Folterkeller der Ewiggestrigen als nach einem vernünftigen Einstieg in das 21. Jahrhundert und seine neuen digitalen Möglichkeiten.

Ein offenbar wichtiger Punkt ist die Diskussion um Urheberrechte, weitgehend gesteuert von der Lobby der Musik- und Contentindustrie. Es ist derzeit vorgesehen, zur Durchsetzung von Urheberrechtsansprüchen im Internet auf internationaler Ebene, dass auch die Internet Service Provider für von ihren Kunden begangene Urheberrechtsverletzungen als Störer haftbar gemacht werden können. Dieser Verantwortung sollen sie sich nur entziehen können, wenn sie sich verpflichten, den Datenverkehr ihrer Kunden zu überwachen und ihnen gemäß dem umstrittenen Three Strikes-Prinzip den Internetzugang nach drei Verstößen gegen das Urheberrecht zu sperren.

„Überwachung“ bedeutet hier Deep Packet Inspection, also die genaue Kontrolle dessen, was die Kunden inhaltlich abrufen. Diese Forderung geht wesentlich über das hinaus, was im Zugangserschwernisgesetz vorgesehen war. Die Musikindustrie erhält damit endlich das Werkzeug, Filesharer zu belangen und ihnen im Wiederholungsfall ohne richterliche Kontrolle den Internetanschluss abzuklemmen – in der Hoffnung, dass dann CD-Verkäufe und kostenpflichtige Downloads zusammen endlich wieder jene Umsatzhöhen erreichen, die wir auf dem Höhepunkt des Booms der CD hatten.

Es bleibt zu hoffen, dass diesmal bereits das EU-Parlament mit seinen erweiterten Rechten begreift, dass hier Bürgerrechte zugunsten von Industrieansprüchen massiv eingeschränkt werden sollen. ACTA ist mit dem EU-Menschenrechtsanspruch nicht vereinbar und auch nicht mit der deutschen Verfassung – das sollte die Bundesregierung und das Wirtschaftsministerium spätestens heute, mit dem Fall der Vorratsdatenspeicherung erkannt haben.

Passt endlich das Urheberrecht an die Gegebenheiten an! DRM, Leistungsschutzrecht und Three Strikes sind untauglich, Ein Recht, gegen das die Bevölkerung massenhaft verstößt, ist nicht durchsetzbar – und muss den Gegebenheiten angepasst werden, wie schon oft in der Vergangenheit. ACTA wäre eine Plattform dafür. Aber es bedarf des Mutes, den Lobbyisten zu widersprechen. Jetzt ist die Gelegenheit dazu.

Herzlichst (mit einem Glas Sekt in der Hand)

Ihr JeanLuc7

Quellenangabe für Auszüge aus der Historie zum Vorratsdatenspeicherungsgesetz und zu ACTA: wikipedia.de

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