Werte Leserinnen und Leser,
Man kennt den Westerwald als Wirkungskreis des Schinderhannes, einer Art „deutscher Robin Hood“ und ansonsten als kaltes Gebiet mit schwacher Wirtschaftskraft, schlechter Infrastruktur und unattraktiven Unternehmensstandorten. Über die heutigen Menschen dort wusste man zuletzt wenig, bis sich der Ortsbürgermeister des 2800-Seelen-Örtchens Herschbach, Sven Heibel (CDU) dazu entschloss, einen 20 Jahre alten Groll öffentlich zu machen.
Dieser Groll gilt der Abschaffung des §175 des Strafgesetzbuchs. Das ist der Schwulenparagraph, der bis 1969 „homosexuelle Handlungen“ – schwulen Sex – für strafbar erklärte und bis 1994 in der Bundesrepublik abgeschwächter Form existierte, bis er – nicht zuletzt wegen der Angleichung der Strafgesetze BRD/DDR – endlich komplett abgeschafft wurde.
Herr Heibel – seines Zeichens studierter Jurist – hat nun nach 20 Jahre sein Strafgesetzbuch ausgepackt und auf Facebook ein Foto gepostet, auf dem ein Einleger zu sehen ist, der den Paragraphen in seiner Form von 1969 zeigt – und Heibel findet diese alte Version richtig gut.
Natürlich bleibt so etwas auf Facebook nicht unkommentiert, und Heibel nutzt die Gelegenheit und drischt in seinen Antworten munter weiter auf die Schwulen ein. Er hält sich dabei natürlich für tolerant und nicht homophob, aber „man wird doch wohl noch sagen dürfen…“. Und dann teilt er uns Bibelstellen mit, aus denen wir ersehen sollen, wie igitt Gott die schwule Liebe findet. Und fordert, das öffentliche Küssen von Männern zu verbieten – ob man nicht am Demonstrationsrecht schrauben könne? Man müsse doch die Kinder schützen!
Sein Heimatverein, die rheinland-pfälzische CDU, hat sich umgehend von seinen Äußerungen distanziert – klar, sogar im Westerwald gibt’s schwule Wähler, und über den Zusammenhang von Homophobie und Homosexualität ist zudem genug geschrieben worden. Andererseits ist es auch keine neue Erkenntnis, dass CDU und CSU so einige homophobe Gestalten in ihren Reihen haben. Der gepflegte Schwulenwitz ist nun einmal an den Stammtischen daheim, und deren Hoheit gebührt den Konservativen.
Was an der ganzen Sache wirklich erschreckend ist: dass sich Gestrige wie dieser Dorfbürgermeister schon wieder derart ungeniert an die Öffentlichkeit trauen. Falls er geglaubt haben mag, das Westerwälder Internet könne ebenso regional beschränkt sein wie das Hunsrücker Lokalblatt, dann wurde er jetzt eines besseren belehrt.
Bliebe noch die Sache mit dem Rücktritt. Als Privatmann darf er verquere Meinungen gern vertreten – und muss damit leben, dass man von den Mitmenschen für durchgeknallt gehalten wird. Als Ortsbürgermeister ist man aber ein winziges Rädchen einer Maschine, die den Maßstäben des Grundgesetzes gehorchen muss. Mag Herr Heibel wieder zurück gehen auf seinen Hinterwesterwäldler Hof, wo er keinen Schaden mehr anrichten kann. Und möge sein Gott ihm viele schwule und lesbische Kinder schenken.
Es grüßt herzlich
Ihr JL7
Update 16.06.: Zwischenzeitlich wurde Sven Heibel aus der Jungen Union ausgeschlossen und hat sein CDU-Parteibuch zurückgegeben. Außerdem hat er sein Facebook-Profil gelöscht. Bürgermeister ist er, da ohnehin abgewählt, nur noch für eine Übergangszeit. Nur seine diskriminierenden Aussagen hat er nicht zurückgenommen. So argumentierte er zuletzt: „In den weit überwiegenden Staaten der Welt ist es strafbar…dann irren die alle…“. Genau. Esst mehr Scheiße – denn Millionen Fliegen können nicht irren!