Werte Leserinnen und Leser,
mit schöner Regelmäßigkeit beschenkt uns unsere Regierung mit großartigen Ideen aus dem schönen Bayern, bei denen man sich immer wieder fragt, wer um des bayerischen Gottes Willen denn solch verrückte Einfälle haben kann:
- Das Betreuungsgeld: Eine Prämie, die gezahlt wird, weil man eine soziale Einrichtung nicht nutzt. Stellen Sie sich vor, Sie bekämen Geld, weil Sie nicht in die Oper gehen oder weil Sie keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen. Das Betreuungsgeld erhalten Familien aus genau einem Grund: weil sie ihre Kinder nicht in Kindertagesstätten schicken. Der Staat bezahlt also, wenn man sein Kind tagsüber selbst erzieht und dafür nicht arbeiten geht. Es ist offensichtlich, welches stockkonservative Familienbild dahinter steckt – darum heißt diese Leistung bei ihren Kritikern auch „Herdprämie“. Erfunden hat sie der damalige bayerische Ministerpräsident Stoiber, und gegen alle Widerstände bei CDU und FDP durchgekämpft hat sie Horst Seehofer.
- Die Windrad-Distanz: Strom aus Wind verspargelt die Landschaft und verschandelt unser schönes Deutschland. Das ist lange Zeit die führende Meinung der konservativen Politiker gewesen. Seit der Energiewende 2011 gilt nun Windstrom auch dort als moderne und gute Methode zur Stromgewinnung – Grund genug für das schönste Bundesland, wenigstens seine Bürger vor dem Anblick der Rotoren zu schützen. Und so erfand Horst Seehofer die 1oH-Regel und ließ sie für seine Partei in den Koalitionsvertrag schreiben. Konkret bedeutet sie dies: Der Abstand eines Windrads zur Wohnbebauung muss das Zehnfache der Höhe dieses Windrads betragen – bei den heute üblichen Windrädern mit 200 Metern Höhe also zwei Kilometer. Und damit sind in der Umgegend der zersiedelten Dörfern Bayerns viel weniger Windräder möglich als zuvor. Bayern steht laut Horst Seehofer zur Energiewende – aber attackiert sie auf unlautere Weise.
- Die CSU ist zudem eine sehr lokalnationale Partei, und so erdachte sich Horst Seehofer rund um den Bayern- und Bundestagswahlkampf eine neue Irrwitzigkeit – die PKW-Maut nur für Ausländer. Nun ist so eine Maut eigentlich keine schlechte Idee – als Infrastrukturabgabe auf Autobahnen erhoben, kann sie zur Finanzierung von Reparaturen und Neubauten und auch zur Verkehrssteuerung genutzt werden. Die seit 2005 eingeführte LKW-Maut bringt jährlich 4,5 Milliarden Euro – kein schlechter Betrag. Wenn man pro PKW 100 Euro einnähme, käme man leicht auf weitere 4 Milliarden Euro.
Aber Horst Seehofer ging es nicht um sinnvolle Mehreinnahmen – er wollte die bayerischen Stammtischbewohner bedienen, die sich seit vielen Jahren auf ihren Urlaubsreisen über die österreichische und tschechische Autobahnmaut ärgern. Also versprach Seehofer eine Maut, die nur Ausländer belastet – wohl wissend, dass das europarechtlich eine äußerst fragwürdige Konstruktion ist. Im Kanzleramt erkannte man das frühzeitig, und daher ließ sich Frau Merkel beim Wahlkampfduell zur besten Sendezeit folgenden Satz entlocken: „Mit mir wird es keine PKW-Maut geben„. Klarer geht es kaum.
Vermutlich hätte Frau Merkel ihr Versprechen halten können, wenn die CSU während der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD wenigstens eine einzige clevere Idee hätte vorschlagen können. Aber wie vier Jahre zuvor hatte man nur diese eine verrückte Thema, und das musste auf Gedeih und Verderb durchgesetzt werden. So gelangte die PKW-Maut in den Koalitionsvertrag.
Die Kritiker – es gab und gibt sie in großer Zahl aufseiten der SPD und der CDU – mögen sich gesagt haben, dass Seehofer es niemals schaffen würde, eine europarechtlich einwandfreie Variante zu schaffen – damit wäre die Maut dann gestorben. Aber sie hatten alle nicht mit Seehofers Hartnäckigkeit bei der Durchsetzung verrückter Themen gerechnet – je verrückter, desto besser. Nicht umsonst trägt Seehofer den Spitznamen „Crazy Horst„.
Dabei kommt Horst Seehofer eine politische Merkwürdigkeit zupass, die man im Englischen als „Tit for Tat“ bezeichnet. Übersetzt bedeutet sie in etwa „Bekomme ich etwas, dann bekommst Du auch etwas„. Und weil die CDU Frau Merkel und die Mütterrente bekam und die SPD die Rente ab 63 und den Mindestlohn, brauchte nun auch die CSU einen kleinen Erfolg. Dafür ersetzte Seehofer sogar den realpolitischen Verkehrsminister Ramsauer durch den Wadenbeißer und Horst-Getreuen Dobrindt.
Wie es scheint, wird sich Crazy Horst also wieder einmal durchsetzen. Wieder einmal bekommt Deutschland ein unsinniges Gesetz – weil der bayerische Ministerpräsident es will. Das ist nicht zuletzt undemokratisch, denn mehr als 80% der Bevölkerung haben gar keine Chance, sich bei der Wahl für oder gegen CSU-Konzepte zu entscheiden.
Ich denke, es ist hohe Zeit, den Einfluss der Bayern auf die Bundespolitik zu begrenzen. Die Gelegenheit war nie besser als jetzt : CDU und SPD haben allein mehr als genug Stimmen im Bundestag, um auch ohne die CSU regieren zu können. Horst Seehofers leere Drohung mit dem Koalitionsbruch könnte Merkel einfach ignorieren – wenn sie andererseits einmal den Hintern hochbekäme und das täte, weshalb sie gewählt wurde: Regieren – statt Präsidieren.
Das Vorbild zu Seehofers Spitznamen, der Indianerhäuptling Crazy Horse, wurde übrigens getötet in einer Kontroverse innerhalb seines Stammes über die zukünftige Politik im Umgang mit der US-Regierung. Heute tötet man nicht mehr, aber Seehofers Vorvorgänger Stoiber wird sich in dieser alten Geschichte bereits wiedererkennen. Horst Seehofer sollte das eine Mahnung sein, seinen Irrsinn als Irrtum zu erkennen.
Es grüßt herzlich
Ihr JL7