Im letzten Jahr schien die Welt so einfach zu unterteilen in schwarz und weiß. Schwarz – das waren Frau von der Leyen, Herr Uhl und alle anderen, die für Internetsperren eintraten, und weiß, das waren die Internetnutzer, die Blogger und die liberale Presse. Dann kamen die orangefarbenen Piraten und mit ihnen die unangenehme Diskussion, ob die Löschung von Webseiten mit rechtsextremen und in Deutschland illegalen Inhalten der Zensur zuzuordnen sei. Die SPD war zunächst für die Sperren und später (nicht vollständig) dagegen, sogar in der CDU gab man zu, dass der Wahlkampfschlager nicht perfekt inszeniert gewesen sei.
Und nun dies: Google, einstmals mit dem motto „Don’t be evil“ angetreten, wird heute gerne als Datenkrake bezeichnet, kämpft aber gleichzeitig gegen die chinesische Regierung und deren Zensurbestimmungen. Gleichzeitig engagiert sich unsere Verbraucherschutzministerin Aigner, die in der Vergangenheit gerne ein Ohr für die Lobby der Nahrungsmittelindustrie hatte, gegen Googles neuen Dienst Streetview und Facebook, verharmlost aber die Vorratsdatenspeicherung. Auf welche Seite soll ich mich stellen?
Verweilen wir kurz bei Frau Aigner. Ich halte ihren Kampf gegen Streetview für ein überflüssiges Gefecht. Einerseits hat Google in der Vergangenheit Diskussionsbereitschaft und auch Anpassungsfähigkeit bewiesen. Andererseits sind Aigners Aussagen nur ein Mitschwimmen auf einer scheinbar populistischen Welle, die sich gegen Google zu wenden scheint. Ob mit Streetview wirklich ein Verstoß gegen deutsche Gesetze begangen wird, haben die Gerichte zu entscheiden, nicht die Politik.
Aigners Vorstoß gegen Facebook hingegen ist anders zu beurteilen. Ich teile nicht die Ansicht der Kommentatorin der ZEIT, die Drohung einer Kündigung ihres Accounts sei ein beleidigtes Schulhofgehabe. Sie stößt vielmehr eine Diskussion an und zeigt den einzigen Weg auf, den Nutzer derzeit haben, um Facebook zu mehr Datensicherheit zu bringen: nicht mitzumachen. Ihre Ankündigung fällt offenbar auf fruchtbaren Boden: Verbraucherschützer haben sich ihrer Forderung angeschlossen, und eine Antwort eines führenden Facebook-Mitarbeiters liegt (nicht öffentlich zugänglich) bereits vor.
Zum Hintergrund: Facebook will nach einer Überarbeitung der Datenschutzrichtlinie Namen, Mailadressen, Fotos und den Aufenthaltsort seiner Mitglieder nahestehenden Firmen zur weiteren Nutzung (Werbezwecke?) zur Verfügung stellen. Die Mitglieder können dem aktiv widersprechen – dieses Verfahren nennt man Opt-Out. Bis zum Widerspruch stehen Facebook sämtliche Daten zur Nutzung zur Verfügung. Aigner und die Verbraucherschützer hingegen fordern ein Opt-In, bei dem der Nutzer aktiv seine Zustimmung erteilen muss. Demnach wären die 400 Millionen Teilnehmerdaten des Facebook-Netzwerks erst einmal nicht für geschäftliche Zwecke nutzbar, und es ist fraglich, wie viele Nutzer tatsächlich aktiv ihre Zustimmung für eine Weitergabe ihrer Daten an Facebook nahestehende Firmen wie Yahoo, AOL und CNN erlauben würden.
Google und Facebook sind dabei nicht zufällig ins Visier der echten und selbsternannten Datenschützer geraten. Beide sind in ihrem Bereich Marktführer; Facebook hat kürzlich Google sogar in der Anzahl der Seitenaufrufe überholt. Das gerne gebrachte Argument, die Nutzung der Dienste sei freiwillig, wird inzwischen fragwürdiger, da – mindestens bei Facebook – ein gewisser sozialer Zwang des Mitmachens besteht. Als ich einem Freund gestand, kein Facebook-Profil zu besitzen, sandte er mir dies:
Das Thema Facebook solltest Du dringend angehen. Sicher ist ein eigener Blog auch eine feine Sache, aber bei Facebook steht die bi-direktionale Kommunikation mehr im Vordergrund und macht es Dir leicht, auf dem Laufenden zu bleiben und andere auf dem Laufenden zu halten! Ich überlege schon, meine Eltern und Schwester davon zu überzeugen, sich einen Account einzurichten, damit ich zukünftig Frage wie: „Wie geht’s Dir? Was machst Du?“ mit: „Schau doch bei Facebook nach!“ beantworten kann.
Ich halte daher eine gewisse Kontrolle und insbesondere einen vorsichtigen Umgang mit Benutzerdaten gerade bei Marktführern für wichtig. Die Älteren unter uns erinnern sich sicher noch an die Maßnahmen, die bei der Einführung von Windows XP Microsoft für deren laxen und unkontrollierten Umgang mit Nutzerdaten bei der Online-Registrierung des Betriebssystems angedroht wurden. Damals wurde sogar eine Zerschlagung des Konzerns diskutiert.
Gleichzeitig kann man die Facebook-Betreiber nicht verdammen für den Wunsch, mit der eigenen Plattform mehr Geld zu verdienen. Facebook ist kein sozialer Dienst an der Allgemeinheit, sondern ein Dienst eines Wirtschaftsunternehmens. Dies darf nur nicht so weit führen, dass ein Quasi-Monopol zur einseitigen Gewährung von Nutzungsrechten führt. Auch Konzerne wie Apple, früher scheinbar eindeutig der weißen Seite zuzuordnen, werden sich dieser Verantwortung in Zukunft stellen müssen, wenn sie neben Computertechnik zu Dienste- und Inhalteanbietern für Bücher und Zeitschriften werden.
Die Welt ist eindeutig bunter, als sie sich im letzten Jahr darstellte. In gewissen Projekten arbeiten wir miteinander, bei anderen stehen wir auf unterschiedlichen Seiten. Und es lässt sich keine klare Linie ausmachen, eher eine sich entwickelnde, gegenseitige Kontrolle. Dass ich Frau Aigners Facebook-Schelte gutheiße, bedeutet nicht, dass ihr nächstes Projekt meine Zustimmung finden wird.
Wer es nach wie vor lieber schwarz liebt, findet bei Hern Uhl und den anderen Freunden von Zugangssperren für das Internet passendes Material. Hier stimmen die letztjährigen Fronten – noch.
Und was treibt eigentlich Microsoft?
Herzlichst,
Ihr JeanLuc7