Werte Leserinnen und Leser,
Überschriften sind gerne ein wenig knallig, um Spannung aufzubauen, die dem Leser über die ersten Zeilen des Artikels hinweg hilft – bis er dann voll und ganz dem Autor verfallen ist. Manchmal aber setzt das wirkliche Leben Maßstäbe, die man kaum übertreffen kann.
Dieser Tage wird in den Medien ein Masernausbruch in Berlin diskutiert, genauer gesagt, im Prenzlauer Berg. Dort leben eben jene gentrifizierten Zuzügler, die sich für so intelligent halten, dass ihr Weltbild von Tatsachen weitgehend unbeeindruckt bleiben darf. Zu diesem Menschenschlag gehört auch die wachsende Gruppe der Impfgegner. Das sind Eltern, die eine Kleinkind-Masernimpfung für schädlicher halten als die eigentliche Krankheit. Denn erwiesenermaßen kann es bei der Impfung zu Komplikationen kommen, während die Krankheit selbst mit der harmlosen Vorsilbe „Kinder“ bedacht ist, genau wie in den heimeligen Worten „Kinderspielplatz“, „Kinderfilm“ und „Kinderteller“. Ok, streichen Sie das letzte.
Eine Kinderkrankheit trägt aber ihren Namen, weil sie so ansteckend ist, dass niemand es schafft, ihr zehn Jahre lang zu entgehen, ohne daran zu erkranken. Weil die Impfgegner das natürlich auch wissen, organisieren sie inzwischen „Masern-Partys“, bei denen der Nachwuchs explizit mit an Masern erkrankten Kindern zusammengebracht wird, damit die Krankheit gezielt und geplant außerhalb der Urlaubszeiten ausbreche. In den Köpfen der Erwachsenen verfügen sie nämlich nach dem Durchleben der Krankheit über ein natürlich gestärktes Immunsystem ohne künstliche Farb- und Aromastoffe.
Natürlich nur, solange das Kind den Masernausbruch überlebt. Zwei von tausend Kleinkindern sterben daran. Und alle anderen anderen leiden erheblich – drei Wochen lang.
Und wenn Sie, werte Leserinnen und Leser, bis hierher durchgehalten haben, habe ich heute zur Belohnung einen Verweis auf die Spiegel-Kolumne von Sascha Lobo für Sie, denn besser als er kann ich die Frage danach, wer diese Impfgegner nun genau sind, auch nicht formulieren:
„Es handelt sich um hoch gebildete und tendenziell wohlhabende Bürger. Um Leute also, die Pegida ausgelacht haben, weil die wider jede Statistik wegen ihrer Bauchgefühle demonstriert haben. Und fünf Minuten später stillen sie ihren pseudoskeptischen Durst mit informiertem Wasser, das bei Vollmond an Bachblüten vorbeigetragen wurde.“
Es grüßt herzlich
Ihr JL7