Werte Leserinnen und Leser,
in neun Tagen werden die Landtage in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt gewählt. Aus einem Stirnrunzeln beim Betrachten der Umfragen wird inzwischen Fassungslosigkeit: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ab 1949 haben die beiden ehemals großen Parteien CDU und SPD in zwei Bundesländern gemeinsam keine Mehrheit mehr – „Große Koalitionen“ könnten dort nicht mehr regieren.
Man mag diesen Sachverhalt in Sachsen-Anhalt der übergroßen Menge an Rechtsaußen-Wählern zuschreiben: 19% und damit 4% mehr als die SPD weist die letzte Umfrage für die AfD aus. Die CDU kommt noch auf 31% – damit hätte die bisherige Koalition 46% der Stimmen – zu wenig für eine Mehrheit im Parlament. Die CDU könnte aber mit der Linken und der AfD eine Koalition bilden – beides würde reichen.
In Baden-Württemberg sieht es noch seltsamer aus. Dort sind die Grünen nach der letzten Umfrage die einzige verbliebene 30%-Partei – es wäre zudem ihr bestes Ergebnis seit ihrem Bestehen. Im Ländle hätten derzeit lediglich eine Grün-Schwarze Koalition (mit 60% der Stimmen) eine ausreichende und die sogenannte „Deutschland-Koalition“ aus CDU, SPD und FDP (mit 49% der Stimmen) eine knappe Mehrheit im Parlament. Reichen würde es auch für CDU und SPD und AfD gemeinsam, aber dieser Fall ist wohl noch unwahrscheinlicher als der Tunneleffekt zwischen Auto und Garage.
Dramatisch? Nun ja. Wir sollten davon ausgehen, dass das rechtsextreme Potenzial in unserer Bevölkerung nicht erst seit der Flüchtlingskrise gewachsen ist, auch wenn die Sachsen es so aussehen lassen. Im Osten wurde schon früher fleißig NPD gewählt, und die Pforzheimer haben den Republikanern schon in den Neunziger Jahren zweistellige Ergebnisse beschert. Das hat in Pforzheim Tradition: auch die NSDAP konnte dort weit bessere Ergebnisse holen als anderswo.
Nun, mit der AfD als scheinbar lediglich rechtspopulistischer Alternative, wird das ganze Potenzial der Rechten offenbar. Man muss nicht mehr zwangsweise CDU wählen, weil es rechts davon keine Partei geben durfte, sondern kann sein Kleinbürgertum endlich ausleben: Keine Flüchtlinge, jawoll! Keine Ausländer bei uns, jawoll! Homos die Rechte nehmen oder umerziehen, jawoll! Frauenbild von 1950, jawoll! Schweinefleisch statt Döner, jawoll! Undsoweiterundsofort, man kennt diese billigen Phrasen, mit denen sich die Rechten warm halten.
Und wir übrigen (die wir eine Mehrheit von etwa 80% der Bevölkerung darstellen) werden das Ganze ertragen müssen, denn die AfD wird weder verschwinden noch verboten. Und wenn daraus ungewohnte Koalitionen entstehen wie eine von Kretschmann geführte Große grün-schwarze Koalition, dann mag man bitte einmal ins benachbarte Hessen schauen, wo Schwarz-Grün seit zwei Jahren erstaunlich geräuschlos regiert – eben jenes Hessen, in dem 1982 der SPD-Ministerpräsident Holger Börner den Grünen mit der Dachlatte drohte, ehe er drei Jahre später Joschka Fischer zum ersten grünen Minister machte und in dem noch 2008 Roland Koch den grünen Spitzenkandidaten Tarek al Wazir als Ausländer verleumdete.
Bleibt der Osten, und dort bleibt neben der CDU nur noch eine größere demokratische Partei übrig – die Linke. Jene Linke, die mal PDS hieß und davor SED. Aber die letzten 25 Jahre sind auch an der Linken nicht vorüber gegangen, und inzwischen stellt sie in Thüringen den Ministerpräsidenten und hat in Berlin und Brandenburg erfolgreich mitregiert. Wenn die CDU im Westen mit den einst verhassten Grünen koaliert, dann wird sie das im Osten mit den dort im Vergleich zum Westen wesentlich realpolitischeren Linken auch schaffen, wenn auch vielleicht nicht gleich nach der Wahl. Bisher hofft man noch, dass es für CDU und SPD doch noch reichen könnte – mit einer Stimme Mehrheit im Parlament.
Ob die CDU es auch einmal mit der AfD versuchen wird? Sicher wird es Befürworter einer solchen Koalition in Zukunft geben. Es darf aber daran erinnert werden, dass wir in Deutschland bereits Erfahrung haben mit der Idee, eine rechtsextreme Partei in die Regierung einzubinden, weil man annahm, dass sich dann der Spuk sicher schnell verflüchtigen würde – der vermutlich weitest reichende Irrtum in der Geschichte.
Es grüßt herzlich
Ihr JeanLuc7