Werte Leserinnen und Leser,
man kann über Böhmermanns Satire viel schreiben. Noch viel mehr kann man schreiben über die Realsatire, die sich bis heute in Deutschland und der Türkei abspielt. Wären wir noch im 19. Jahrhundert, würden wahrscheinlich sogar die Kanonen sprechen. Ähnliches kennt man heute nur noch aus Nordkorea, wo der einsame Herrscher mit der schicken Frisur auch ständig beleidigt ist und Raketen ins Meer schießen lässt.
Bleiben wir aber einmal bei Merkel und ihrer aktuellen Entscheidung, ein Verfahren nach §103 StGB zuzulassen. Klar, sie ist vor Erdogan eingeknickt. Denn hätte der den Türken-Flüchtlingsdeal aufgekündigt, dann hätte Merkel im Kabinett und auf der Straße wieder ganz andere Probleme.
In Merkels Kanzleramt müssen aber ein paar clevere Juristen sitzen, denn das, was sie heute vorgestellt hat, ist auf den zweiten Blick ein juristisches Meisterstück, bei dem niemand nass wird – jedenfalls nicht Böhmermann.
Merkel hat nämlich angekündigt, den §103 noch in dieser Legislaturperiode streichen zu lassen. Diese endet irgendwann im Hochsommer 2017. Bis dahin existiert dieser Paragraph nicht mehr. Was nutzt das nun Böhmermann, denn er hat sein Gedicht im April 2016 veröffentlicht?
Hier hilft ein Blick hinter die Kulissen der Justiz. Zunächst einmal sitzt Böhmermann nicht in U-Haft – es laufen also keine Fristen, die eine Staatsanwaltschaft beachten müsste. Damit aber gibt es wichtigere Verfahren – das ist der Grund, warum sich gerade kleine Streitigkeiten gerne einmal länger hinziehen, bis sie verhandelt werden. Und dann ist da noch die Staatsanwaltschaft. Sofern – wovon wir ausgehen sollten – der bearbeitende Staatsanwalt nicht von Erdogan gekauft wurde, wird er es nicht gerade eilig haben mit diesem Verfahren, weil das öffentliche Interesse doch extrem groß sein wird. Er könnte sich daran die Finger ganz erheblich verbrennen, aber kaum Freunde gewinnen.
Nehmen wir also an, das Verfahren beginnt im Juli 2017 kurz vor dem Ende des §103. Dann ist es übliches Vorgehen, eben keine Verurteilung mehr zu erwirken, weil alles andere nach Siegerjustiz aussähe – man hat 1994 auch keine Verfahren nach §175 mehr zum Ende geführt. Das Ergebnis wäre dann wohl eine Einstellung des Verfahrens nach §103.
Nehmen wir aber nun einmal an, der Staatsanwalt würde nur einen Monat länger warten. Dann wäre das Gesetz bereits von gestern, und dafür kennt das Strafgesetzbuch den §2, Absatz 2:
Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.
Das mildeste Gesetz wäre in diesem Falle „kein Gesetz“ – und damit würde wiederum die Einstellung des Verfahrens einhergehen.
Letztlich hängt es aber nicht einmal am Staatsanwalt und dessen Terminplan. Denn wenn wir den Rechtsweg betrachten, dann entscheidet die letzte Instanz garantiert erst nach dem ruhmlosen Ende des Schah-Paragraphen.
Man mag also Merkels Entscheidung, das Verfahren nach §103 zuzulassen, für dumm, duckmäuserisch oder gar als Kniefall vor Erdogan werten. Die Entscheidung, gleichzeitig den §103 abzukündigen, war äußerst clever. Und da Merkel eine Physiker-Doktorin ist und daher mit den tiefen Tricks im Recht sicher nicht vertraut, gebührt der Dank für diesen Schachzug wohl ihren Hausjuristen. Clever, Jungs – auch wenn ich Euch wegen Eurer Geheimnistuerei rund um den BND sonst nicht so mag.
Es grüßt herzlich,
Ihr JL7
P.S. Eine Kröte bleibt davon unberührt: Das Verfahren nach §185 StGB wegen persönlicher Beleidigung muss Böhmermann wohl durchlaufen.