Werte Leserinnen und Leser,
das Militär kennt seit Jahrtausenden die Strategie der Aufrüstung. Wenn wenige Soldaten nicht reichen, braucht man eben mehr, damit die Eroberung erfolgreich wird. Wenn die verfügbaren Waffen zu schwach sind für die Zerstörung der belagerten Burg, dann baut man eben größere. Wenn Kurzstreckenraketen die Welt nur halb zerstören können, baut man Interkontinentalraketen und schafft so einen vielfachen Overkill.
In diesem Zusammenhang ist mit schleierhaft, wieso der EU-Kommissar Oettinger nicht Verteidigungsminister in Merkels Kabinett ist – stattdessen hat man ihn 2010 in die EU-Kommission, wo er vom ersten Tage an durch lückenhaftes Englisch und Unkenntnis auffiel und daher als „entsorgt“ galt.
Oettinger entpuppte sich jedoch als ein Wiedergänger, als man ihn nach der EU-Wahl 2014 zum EU-Kommissar für Digitalwirtschaft machte. Damals waren gerade Nacktfotos von Promis aus deren geschützten Webseiten entwendet und veröffentlicht worden. Ganz in männlicher Ländle-Tradition verkündete er vor der erstaunten Presse:
„Wenn jemand so blöd ist und als Promi ein Nacktfoto von sich selbst macht und ins Netz stellt, kann [man] doch nicht von uns erwarten, dass wir ihn schützen.“
Schweigen wir über sein Telekomlobbyhobby und seine fragwürdigen Entscheidungen contra Netzneutralität – dieser Schaden ist angerichtet. Sein neuster Coup jedoch ist eines Militaristen durchaus würdig. Statt einzugestehen, dass die beiden Kanonen mit dser Aufschrift „Nationales Leistungsschutzrecht für Presseverleger“ in Deutschland und Spanien gnadenlos gescheitert sind, baut er gerade an einer noch größeren Bazooka, dem „Europäischen Leistungsschutzrecht“, das in seiner Schärfe die Strategie der massive attack der 50er Jahre gleichkommt.
Digitale Presseerzeugnisse – also die Artikel auf spiegel.de, zeit.de, Bild.de, faz.net usw. – sollen zukünftig europaweit einer Zahlungspflicht unterliegen, wenn man auf sie verlinkt bzw. eine Aggregation des Inhalts in wenigen Worten veröffentlicht. So etwas machen so genannte News-Aggregatoren, und einer der Großen in dieser Branche ist der Dienst google news. Dort kann man die Schlagzeilen der Online-Publikationen zusammen mit einer einzeiligen Zusammenfassung lesen und gelangt dann per Link auf die jeweilige Seite. Es ist bewiesen, dass dies den Publikationen zum Vorteil gereicht. Sie erhalten dadurch einen erheblichen Anteil an Traffic, der wiederum die Seiten durch eingeblendete Werbung finanziert.
Und da nun einmal Google mit seinen Milliardengewinnen einen gewissen Neid weckt, hat man sich in Deutschland und Spanien bereits vor Jahren überlegt, wie man an diesen Gewinnen partizipieren kann. Bereits wenige zitierte Worte sollten eine Zahlungspflicht auslösen – in Deutschland wollte man 6% vom Google-Gesamtumsatz haben! Auf der anderen Seite sind aber News-Aggregatoren kostenlose Dienste, und so stellte sich ausgerechnet Google quer: man schaltete google news in Spanien einfach ab. In Deutschland forderte man Verträge, in denen die kostenlose Nutzung zugesichert wird, ansonsten würde man keine Inhalte, sondern nur noch die Überschriften listen. bild.de hat das ausprobiert und musste wochenlang erhebliche Einbußen hinnehmen, weil die Nutzer von google news einfach nicht mehr auf die nichtssagenden Überschriften von bild.de klicken wollten. Inzwischen hat Google in Deutschland Verträge mit allen Verlegern, die eine kostenlose Nutzung im Sinne des deutschen Leistungsschutzrechts erlauben.
Jetzt aber kommt Oettinger. Da die bisherigen nationalen Gesetze den Verlegern nicht die erhofften Google-Milliarden gebracht haben, will er ein europäisches Leistungsschutzrecht schaffen, das in seinen Forderungen weit über die bisherigen hinausgehen soll:
- Auch Überschriften sollen zukünftig Geld kosten.
- Links werden auf diese Weise ebenfalls kostenpflichtig, da sie oft die Überschrift als Text im Link enthalten. Nur kryptische Links wären befreit.
- Presseartikel sollen 20 Jahre lang geschützt bleiben. Das deutsche LSR sah noch einen Schutz von einem Jahr vor.
- Oettingers Vorschlag sieht keine echte Unterscheidung zwischen kommerzieller und privater Nutzung vor, so dass auch Blogs zahlen müssen.
- Noch unklar ist. ob für facebook-Links die Nutzer oder facebook selbst zahlen müsste.
Oettinger argumentiert, Google könne seinen Dienst ja wohl kaum für 500 Millionen Europäer einstellen. Ich schätze, da kennt er Google schlecht. Aber besser noch: Oettinger hat die Presseverlage aufgerufen, Druck auf die Online-Redaktionen ihrer Zeitungen auszuüben (Video), weil die für seinem geilen Vorschlag einfach nicht so recht zu begeistern waren. Im Ergebnis liest und hört man inzwischen sehr wenig von seiner verrückten Idee.
Und wie üblich, zeigt sich Oettinger völlig beratungsresistent selbst gegenüber den Zahlen, die die Online-Redaktionen ihm zur Verfügung stellten, aus denen zu erkennen war, wie wichtig google news für die Umsätze der Redaktionen ist:
„Es gibt Zahlen von Zeitungen, die kennen Verleger – Chefredakteure aber nur eingeschränkt. Ich habe von den europäischen Zeitungs- und Zeitschriftenverlegerverbänden ganz klare Unterstützung.“
Oettinger glaubt also den Einflüsterungen von burda und Axel Springer mehr als den Tatsachen. Auch das macht ihn zu einem perfekten Kandidaten für das Amt des Verteidigungsministers. Merkel könnte damit auch gleich ihr Problem der Kandidatenfindung für das Amt des Bundespräsidenten lösen: Uschi for President, Oettinger wird ihr Nachfolger und führt die Wehrpflicht wieder ein, auf dass Deutschland endlich wieder ein starkes Heer hat gegen äußere und innere Feinde von links und rechts.
Ich glaube, ich will Oettinger doch lieber nicht als Verteidigungsminister. Vielleicht entsorgt man ihn besser auf einen Posten, auf dem er keinen weiteren Schaden anrichten kann und schreddert gleich danach den Vorschlag für ein europäisches LSR, das niemand braucht und allen schadet.
Es grüßt herzlich
Ihr JL7