Werte Leserinnen und Leser,
der Streit um die Unterzeichnung von CETA dauert an. Dabei zeigt sich auf erschreckende Weise, wie wenig Demokratieverständnis die CETA-Befürworter mitbringen. EU-Kommissionsschef Juncker war vor einigen Monaten der Meinung, CETA sei ein reines EU-Abkommen, deshalb müsse auch nur das EU-Parlament zustimmen. Damals warf man ihm mangelhaftes Verständnis für die notwendige Transparenz vor – wenn nicht alle Staaten zustimmten, dann sei das Abkommen nicht ausreichend demokratisch legitimiert.
Jetzt kommen dieselben grauen Männer aus den Löchern und behaupten, die Entscheidung, alle Länder zustimmen zu lassen, sei ein Kardinalfehler gewesen. Demokratie sei es schließlich nicht, wenn kleine Gruppen Großes verhindern könnten. Weniger Nationalstaaterei, mehr EU müsse her. Man hätte niemals zulassen dürfen, dass nationale Parlamente über CETA entscheiden.
Da haben wohl immer noch einige den Schuss nicht gehört. Ein geheim verhandeltes Abkommen, das Einfluss auf wesentliche Lebensbereiche der Bürger nimmt und Großkonzernen die Chance gibt, ihnen unpassende nationale Gesetze bereits in der Entstehungsphase in ihrem Sinne zu beeinflussen – das ist heute nicht mehr durchsetzbar. Die EU-Kommission mag durch die EU-Verträge legitimiert sein, Handelsabkommen zu schließen – aber nirgends steht geschrieben, dass dies intransparent und im Sinne mulitnationaler Konzerne geschehen soll. Die neoliberale Entwicklung der letzten 20 Jahre und insbesondere die Finanzkrise haben gezeigt, dass die Macht in den Händen grauer Männer nicht gut aufgehoben ist – Reichtum und Armut vermehren sich dort, wo vor zwanzig Jahren noch so etwas wie eine nivellierte Mittelstandsgesellschaft existierte.
Aber ganz abgesehen von der Frage der Transparenz und der möglicherweise nicht ganz so einwandfreien demokratischen Legitimierung des EU-Parlaments (das im Gegensatz zu jedem anderen Parlament keine eigenen Gesetzesvorschläge machen darf und dessen Abgeordnete je nach Land eine erheblich unterschiedliche Anzahl Stimmen für ihre Wahl benötigen) – die Regeln der EU besagen nun einmal, dass Verträge von allen 28 Ländern unterzeichnet werden müssen, damit sie gültig werden. Und wenn statt Wallonien sich Österreich oder die Bundesrepublik gegen CETA entschieden hätte, dann wäre die Situation exakt dieselbe: CETA kann nur inkraft treten, wenn alle zustimmen. Jetzt zu behaupten, das sei undemokratisch und eine Mini-Region lähme ganz Europa, ist äußerst schlechter Stil.
Es bleibt zu hoffen, dass zukünftige Verträge von vornherein mit der Zivilgesellschaft besprochen werden. Es darf nicht sein, dass Großkonzerne sich in Verhandlungen einkaufen dürfen, Abgeordnete aber nicht einmal das Recht haben, die Vertragsentwürfe in gewohnter Form zu studieren und mit ihren Wählern zu diskutieren – wie wir es Anfang des Jahres auch mit dem großen CETA-Bruder TTIP erlebt haben. Handelt Verträge aus – aber lasst uns nicht mehr im Nebel stehen, sondern erklärt uns Eure Schachzüge. Und nehmt unsere Kritik auf. Denn die Zeit des Neoliberalismus ist abgelaufen.
Es grüßt herzlich
JL7