Wer sorgt für die soziale Absicherung?

Werte Leserinnen und Leser,

wie üblich wird mit dem Fortschreiten der Ideen zur Verbesserung des Gemeinwesens die Aktivierungskurve immer steiler. Ein Losverfahren zur Bürgerbeteiligung ist einfach zu etablieren und kostet wenig. Ein bedingungsloses Grundeinkommen mit negativer Einkommensteuer wirbelt die bisherige Steuer- und Sozialgesetzgebung derart durcheinander, dass man es wohl nur probeweise einführen würde, wie es derzeit die Finnen und Schweden tun.

Der Logik folgend kommt nun also der dritte und komplexeste Teil meiner Vorschläge: die soziale Einbettung der Automatisierung. Denn hier geht es um die Frage, wieviel Geld man verdienen darf und welche soztiale Verantwortung man dafür übernehmen muss.

Fangen wir mit einem ganz einfachen Beispiel an: Eine Firma beschäftigt 100 Mitarbeiter, die die Teile eines Produkts von Hand zusammensetzen. Die Direktion beschließt nun, die Produktion weitgehend zu automatisieren und benötigt zukünftig nur noch zehn Mitarbeiter – 90 werden entlassen und erhalten für ein Jahr ALG1. Das ist Geld aus einer Sozialversicherung – die Arbeitnehmer haben eingezahlt und daher einen Anspruch erworben. Während ihrer Arbeitslosigkeit zahlen sie jedoch keine weiteren Sozialversicherungsbeiträge mehr; dies gilt auch für ihre Rentenversicherung.

Und unsere Firma? Sie produziert günstiger und darf die neu angeschafften Maschinen mehrere Jahre abschreiben und muss daher weniger Steuern zahlen. Die Gemeinschaft ist – vereinfacht dargestellt – zweimal bestraft: einmal durch geringere Einnahmen der Sozialkassen, zum anderen durch geringere Gewerbesteuereinahmen. Gewinner sind die Eigner der Firma, denn ihre Produktionskosten sinken, während der Preis des Produkts (gewöhnlich) derselbe bleibt.

Man könnte nun sagen, so funktioniert der Kapitalismus. Aber muss das so sein? Denken wir das ganze doch einmal bis zum Ende und machen daher eine kurze Zeitreise in das 24. Jahrhundert auf das Raumschiff Enterprise. Dort arbeitet der Androide Data als Brückenoffizier. Er nimmt am Gemeinwesen teil, nutzt Holodeck und die Bar Zehn Vorne, hat ein eigenes Quartier mit einer für ihn entworfenen Computerkonsole. Er ist eine Maschine, aber es wird im Laufe der Serie klar, dass er dieselben Rechte und Pflichten hat wie seine menschlichen Kollegen. Es ist nicht völlig konsistent, wie im 24. Jahrhundert Arbeit bezahlt wird – aber wenn seine menschlichen Kollegen weiterhin Gehalt beziehen und Einkommensteuer und Sozialversicherung bezahlen, dann werden diese Regeln doch wohl auch für ihn gelten?

Zurück ins Jahr 2017 und zum Thema. Die offensichtlich resultierende Frage lautet also: Warum bezahlen Maschinen keine Steuern und Sozialversicherung? Sie helfen mit, Erträge zu erzielen, sie nehmen Arbeitsplätze ein, die zuvor von Menschen besetzt waren. Sie mögen heute nicht so intelligent wie Commander Data sein, aber dennoch: sollte man sie nicht auch heute schon an der Finanzierung des Gemeinwesens beteiligen?

Bevor wir uns anschauen, wie eine solche Beteiligung aussehen könnte, ein paar Worte zur Wichtigkeit dieses Themas: Nachdem die multinationalen Konzerne den Faktor „menschliche Arbeitskraft“ von den Industriestaaten zunächst nach Osteuropa und Südamerika, dann nach Indien und China und schließlich in aufstrebende kleine Fernoststaaten verlagert haben, sind wir hier weitgehend am Ende der Fahnenstange angekommen. Die Welt kennt keine noch entlegeneren Plätze; damit wird von Menschen Arbeit nicht mehr billiger, sondern nur noch teurer – nicht zuletzt auch deswegen, weil in den Billiglohnländern eine Mittelschicht entsteht, die für anständige Arbeit angemessene Bezahlung erwartet, wie es in den Industrieländern seit Jahrzehnten üblich ist.

Daher bietet sich zur weiteren Optimierung der Gewinne der Konzerne die Automatisierung der Produktionsprozesse an. Exoerten sind sich einig, dass dieser Prozess in den nächsten 20 Jahren größere Umbrüche der Weltwirtschaft mit sich bringen wird. Es werden weitaus mehr Arbeitsplätze wegfallen als neue entstehen. Die Umwälzungen werden vor allem den Billiglohnsektor treffen, wohingegen gut ausgebildete Fachkräfte zunächst weiterhin gefragt sein werden.

Nun ist das zunächst keine schlechte Nachricht. Wer die Science-Fiction-Literatur in der Mitte des 20. Jahrhunderts kennt, dann ist dort der positive Blick in die Zukunft immer mit einem Mehr an Freizeit verknüpft, weil Maschinen unsere Arbeit tun. Wenn wir aber andererseits das bestehende System „Geld gegen Arbeit“ beibehalten, dann führt diese Entwicklung ganz automatisch zur Entstehung eines großen, weltweiten Prekariats – Menschen, die nur minimale Einkünfte haben und keine Chance, jemals ein besseres Leben zu führen. Betrachtet man auf der anderen Seite das anhaltende  Bevölkerungswachstum, dann sollte sich man vor den 50er Jahren dieses Jahrhunderts durchaus schon einmal vorsorglich fürchten.

Aber zurück zum Thema: Das vorhin genannte Beispiel der Firma mit 100 bzw. 10 Mitarbeitern kann sehr einfach in ein neues Modell überführt werden. Zwar spart die Firma die Gehälter für 90 Mitarbeiter, sie sollte aber zumindest Sozialabgaben für diese 90 Mitarbeiter abführen – und zwar vollständig, also Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil. Damit wären die Sozialkassen (Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung) weitgehend unabhängig von den Verwerfungen einer Vierten Industriellen Revolution.

In der Realität ist das ganze natürlich weitaus komplexer, weil eben nicht immer ohne weiteres klar ist, wie viele Arbeitsplätze durch Automatisierung verloren gehen. Was, wenn ein Automobilkonzern ein neues, automatisiertes Werk eröffnet, in dem zuvor gar keine Mitarbeiter beschäftigt waren? Was, wenn eine Internet-Firma mit Softwarecode gigantische Gewinne macht, aber nur zehn Mitarbeiter beschäftigt?

Man sieht schnell, dass die erforderlichen Maßnahmen nur sinnvoll umsetzbar sind, wenn sie weitgehend weltweit geschehen. Denn letztlich läuft die Frage einer reproduzierbaren Vergleichbarkeit zwischen Arbiet und Automatisierung auf eine hohe Besteuerung der weltweiten Unternehmensgewinne hinaus. Eine Kalkulationsgrundlage könnte ein Abwägen der Kosten für Mitarbeiter (bzw. deren Sozialversicherungsaufwendungen) und der Unternehmensumsätze sein. Ein Unternehmen dürfte dann für jeden Mitarbeiter einen Freibetrag vom erzielten Unternehmensumsatz abziehen – der Rest würde dann zur Zahlung von Sozialversicherungsabgaben herangezogen. Unternehmen mit hohem Einsatz menschlicher Arbeitskraft würden dabei wenig zahlen, Unternehmen mit hoher Automatisiserung oder hohem Umsatz bei geringem Personaleinsatz würden stark belastet.

Ein paar Beispiele hierzu: Ein kleiner mittelständischer Betrieb mit einer Produktionsstätte in Europa und einer durchschnittlichen Pro-Kopf-Rendite käme mit geringen bis gar keinen Zahlungen davon. Ein Unternehmen wie google, das seine hohen Umsätze (und auch Gewinne) mit relativ geringem Personalaufwand erzielt, würde stark zur Kasse gebeten werden. Ein Automobilkonzern würde Sozialabgaben anhand seiner Umsätze abführen müssen, nicht anhand seiner Mitarbeiter. Im Gegenzug dürfte er allerdings automatisieren, was das Zeug hält. Die ehemaligen Mitarbeiter hätten dann nach wie vor keinen Arebeitsplatz mehr – aber hier verweise ich auf den Vorgängerartikel zum bedingungslosen Grundeinkommen, das dann ebenfalls an die neue Lage angepasst werden müsste und vielleicht zu einer weiteren Sozialversicherungssäule führt.

Man kann dieses Modell auch als gelebte Umverteilung betrachten, und vom Unternehmerstandpunkt aus ist sicher auch der Begriff „Sozialismus“ nicht fern. Letztlich diskutieren wir aber die Frage, wie wir ein Zusammenleben von 10 Milliarden Menschen in einer Weise gewährleisten wollen, die nicht in Verteilungskämpfen, Populismus, Diktatur oder Oligarchie endet. Für mich ist es ist letztlich nur eine Frage der Zeit, bis die jetzige Situation (x Menschen gehören 80% des Reichtums der Erde mit einem immer kleiner werdenden x) eskaliert und in globale Gewalt und Terrorismus mündet. Was wir derzeit in Bezug auf Krieg und Terrorismus erleben, ist dagegen wahrscheinlich ein Kinderfilm, freigegeben für Sechsjährige.

Es ist klar, dass inbesondere dieser dritte Vorschlag so tief in unser Gemeinwesen eingreift, dass er nur multinational umzusetzen wäre und dabei auf erhebliche Gegenwehr stoßen würde. Es ist auch klar, dass die Details einer Umsetzung extrem komplex sein werden. Aber soweit sind wir ohenhin noch nicht: es geht zunächst einmal darum, den Menschen die Risiken der kommenden Umwälzung durch Automatisierung zu verdeutlichen und Diskussionen zu entfachen. Nur eines sollte uns klar sein: die Vierte Industrielle Revolution steht uns direkt bevor. Wenn wir nichts tun und alles seinen weiteren Gang wie bisher geht, werden alle die Verlierer sein.

Es grüßt nachdenklich

Ihr JL7

 

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

1 Antwort zu Wer sorgt für die soziale Absicherung?

  1. Pingback: Immer nur jammern? | 53 Cent

Kommentare sind geschlossen.