Minderheitsregierung! Neuwahlen!

Werte Leserinnen und Leser,

nachdem nun seit Wochen hin und her sondiert wird, mehren sich aus konservativer Ecke die Kommentatoren, die den frisch gewählten Bundestag gleich wieder neu wählen lassen wollen. Zunächst einmal zur Erinnerung das Wahlergebnis (Quelle: wikipedia):

Die zuvor regierende Große Koalition hat bei dieser Wahl 13,8% Stimmen verloren, und die dreieinhalb verhandelnden Parteien vereinen nur 52,5% der abgegebenen Stimmen auf sich (das sind übrigens nur 39,4% der Gesamtwählerschaft). Keine so ganz optimale Ausgangsbasis für das, was sich die Neuwahl-Fürsprecher von einer solchen Wahl versprechen, nämlich eine schwarzgelbe Mehrheit. Für Schwarzgrün sieht es noch schlechter aus.

Solange das Thema „Flüchtlingspolitik“ die Schlagzeilen beherrscht, wird sich an dieser Lage nichts ändern. Dabei ist gerade dieses Thema tatsächlich eines der weniger wichtigen: Selbst mit dem Minimalkonsens „CSU-Obergrenze“ würde derzeit nicht ein einziger Flüchtling zurückgewiesen, ganz abgesehen von Asylsuchenden, die der CDU-CSU-„Kompromiss“ sowieso nicht umfasst. Weil das Thema aber von interessierter Seite am Kochen gehalten wird, würde die AfD bei Neuwahlen so stark bleiben, wie sie jetzt ist.

„Dann wenigstens Minderheitsregierung!“ In Deutschland? Geführt von der konservativen CDU? Im Ernst jetzt? So etwas mag in den Bundesländern für eine Weile funktionieren. Ganz abgesehen davon, dass dabei eine recht unberechenbare Politik herauskäme: Im Bund bliebe nicht aus, dass wiederholt auch die AFD zustimmen könnte. Nun gibt es ja durchaus Fragen, in denen auch die AfD vernünftige Antworten geben kann – man denke an einfache Rechenaufgaben oder die Frage nach dem Wetter von gestern.

Es wird aber eine unappetitliche Vorstellung, wenn man bedenkt, wer da in der AfD-Fraktion so alles zusammenkommt, angefangen vom „kleinen Höcke“ (Rechtsaußen-Richter Jens Maier), der evangelikalen und homophoben Beatrix von Storch und Martin Hohmann, der 2005 aus der CDU ausgeschlossen wurde, weil er nicht von der Behauptung lassen wollte, die Juden seien ein Tätervolk. Von Alexander Gaulands Jagd auf Merkel wollen wir erst gar nicht reden.

Warum aber das ganze Theater? Warum einigen die sich nicht einfach auf ihrem Balkon? Weil die Grünen Ernst machen wollen mit der Rettung des Planeten? Weil die CSU noch nicht kapiert hat, dass die Zeiten absoluter Mehrheiten bereits seit 2005 beendet sind und die Bayernwahl 2013 eine Ausnahme war und nicht mehr zu wiederholen ist? Weil eine FDP immer noch auf Westerwelles Fehler schielt und sich deshalb genauso falsch aufstellt wie 2009?

Wie aber könnte ein Kompromss tatsächlich aussehen? Ein Mediator hätte es wahrscheinlich gar nicht so schwer, wenn man ihn den ließe:

  • Flüchtlinge: Wie bereits gesagt, ist das ein Scheinriese: selbst bei der Akzeptanz der nicht so genannten „Obergrenze“ würde sich derzeit nichts ändern. Und da der Kompromiss zwischen CDU und CSU bereits vorsieht, dass man sich bei neuerlichen Extremsituationen sowieso neu verständigen muss, könnten FDP und Grüne ihre Positionen leicht räumen. Den Familiennachzug kann man ebenfalls limitieren – wenn die Grünen mit ihrer Schätzung von jährlich 75.000 recht behalten, liegt diese Zahl ja deutlich unter dem, was die CSU bereits anbietet. Und die von der CSU geschätzten 750.000? Nun, die Grünen halten das für eine falsche Zahl. Dann können sie bedenkenlos einem Kompromiss zustimmen.
  • Klimawandel: Hier haben die Grünen schon wesentliche Punkte abgeräumt – wohl wissend, dass ihr Ausstiegsdatum für Kohle und Verbrennungsmotor 2030 sowieso in 2021 noch nicht erreicht ist und zumindest die Automobilindustrie ohnehin vom Weltmarkt abhängt – und der tickt in Richtung Ende von Diesel und Benzin. Die Braunkohle? Arbeitsplätze? Ein schlechtes Argument von CDU und FDP, denn wir leben nicht mehr in den 60ern – heute sind gerade noch 30.000 Menschen in diesen Bereichen beschäftigt. Und die sollte man beim Umstieg auf erneuerbare Energien (bereits > 500.000 Jobs) nicht beschäftigen können? Merkel hat – im Gegensatz zu den Verhandlungsführern ihrer Partei – bereits eine Abschaltung von 7,5 Gigawatt aus Kohleverstromung in Aussicht gestellt. Die Grünen fordern 10, die CDU bot bisher knapp 5 an – klingt nach einem klassischen Kompromiss. Dass damit der Planet nicht gerettet wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Dieses Ziel haben aber nicht einmal die Grünen im Wahlkampf versprochen.
  • Innenpolitik: Spart die Vorratsdatenspeicherung und Videoüberwachung aus einem Koalitionsvertrag aus! Das entscheiden sowieso inzwischen die Gerichte. Wahrscheinlich wird die jetzige Version wird genauso gekippt wie der Vorgänger – und jede Verschärfung, wie die CSU sie fordert, macht das wahrscheinlicher. Über die Aufstockung der Polizeien ist man sich bereits einig geworden. Damit die CSU auch etwas davon hat, würde aus einer Mediation wahrscheinlich Joachim Herrmann als neuer Bundesinnenminister hervorgehen.
  • Soli und Wirtschaft: Lasst das ungeliebte Ding ab 2019 auslaufen und plant statt dessen eine umfangreiche Steuerreform, die sich des Mittelstandsbauchs ebenso annimmt wie des Spitzensteuersatzes. Allerdings sollte so langsam auch bis in konservative Kreise vorgedrungen sein, dass die Arm-Reich-Schere tatsächlich ein ernstes Problem geworden ist. Steigende Mieten und Lebenshaltungskosten auf der einen Seite und ein Heer an Beschäftigten in prekären Arbeistverhältnissen auf der anderen Seite, das ist ein sozialer Sprengsatz, der auch die AfD nach vorn gebracht hat. Die hat zwar ein neoliberales Programm für Reiche, hat das aber wunderbar getarnt und definiert sich derzeit als national-soziale Partei für deutsche Arbeiter. Da fehlt nicht mehr viel.

Solange aber Kompromissunfähigkeit vorherrscht (Dobrindt: Wozu Kompromisse? Unser eigenes Programm ist bereits der beste Konpromis), wird es wohl nichts mit einem Regierungsbündnis aus CDU/CSU, FDP und Grünen. Was fehlt: ein Leitwolf mit einem klaren Bild. Merkel nutzte 12 Jahre lang dafür Umfragen und positionierte sich erst, nachdem klar war, was die Mehrheit wollte. So geht es diesmal nicht, und ein „Ich will Kanzler sein!“ wird nicht reichen, um es zu werden.

Eines sollte aber klar sein: Falls es wirklich zu Neuwahlen kommt, wird der nächste Kanzler nicht mehr Merkel heißen. Und was die CSU betrifft, so könnte sie im nächsten Jahr in Bayern in Bezug auf FDP und Grüne dieselbe Situation wiederfinden wie jetzt im Bund.

Es grüßt herzlich

Ihr JL7

 

 

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Politik veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.