Psychopathen an die Macht?

Werte Leserinnen und Leser,

ich muss zugeben, seit Donald Trump im November 2016 die Wahl zum US-Präsidenten gewonnen hat, fehlen mir am vielen Stellen die Worte. Jedes „der kann doch nicht…“ wird inzwischen schneller von der Realität („der macht das wirklich“) eingeholt. Trump ist leider nur einer der vielen, denen ich bescheinigen möchte, den Kompass für eine bessere Welt verloren zu haben. Klar, es gab immer Regierungschefs, Diktatoren, Könige, bei denen von vornherein klar war, dass sie irr sind. Dass sich aber die halbe Welt mit Dummheit infiziert, scheint mir ein Phänomen der letzten Jahre zu sein. Zählen wir einmal auf, und fangen wir international an:

Erdogan regiert seit 2002 die Türkei und schien anfangs tatsächlich in Richtung Europa aufzubrechen. Aber inzwischen sitzt er in einem Sumpf aus Korruption, Verschwörungstheorien und Größenwahn und schlägt wild und unkontrolliert um sich. Man fühlt sich an ein unerzogenes Gör erinnert, das gerade einen Wutanfall auslebt. Dieser Wutanfall dauert allerdings inzwischen bereits mehrere Jahre und hat Hunderttausende um Lohn und Brot und größtenteils unschuldig ins Gefängnis gebracht. Zudem hat er einen Krieg gegen die Kurden vom Zaun gebrochen und trug ihn bis hinein nach Syrien. Nun wählt sich die Türkei ihren nächsten Führer, und aller Wahrscheinlichkeit nach heißt der dann bis in die 2030er Jahre weiter Erdogan. Warum ich das für wahrscheinlich halte, obwohl sein Bündnis in Umfragen nur gute 40% erreicht? Nun, Erdogan hat sich ein Gesetz verabschiedet (er kann das allein dank Ausnahmezustand), das Wahlzettel für gültig erklärt, auch wenn sie keinen offiziellen Stempel tragen. Und für die rund 65 Millionen Türken sind tatsächlich 550 Millionen Stimmzettel gedruckt worden – für jeden Bürger achteinhalb Stück! Was soll da noch schiefgehen, wenn man gleichzeitig die Wahlkommission, die Polizei und die Geheimdienste beherrscht?

Putin regiert bereits seit 2000 und hat, genau wie Erdogan, nur ab und an die Amtsbezeichnung gewechselt. Russland war auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion keine Demokratie, wie wir sie verstehen – schon gar keine lupenreine. Unter dem Avenger Putin ist Russland aber in die Hände von Gangstern geraten – es regiert das organisierte Verbrechen. Interessanterweise hat das auf die meisten Bürger kaum Einfluss, aber nur so lassen sich Verbrechen wie der Londoner Giftanschlag erklären: so ist das eben in der Mafia. Dazu kommt, dass Putins magnetischer Südpol im Westen liegt: alles, was EU oder USA vorschlagen, wird abgelehnt, sei es politisch oder menschenrechtlich oder auch gar nicht bedeutsam. Darauf ist immerhin Verlass – möglicherweise sollten wir einmal fordern, Assad zum lebenslangen herrscher in Syrien zu erklären… Das weltwirtschaftlich ziemlich unbedeutende Russland wird durch diese unselige Kombination aus Großmannssucht und organisiertem Verbrechen zu einer echten Gefahr, weil niemand einschätzen kann, ob an den Knöpfen für die militärischen Anlagen noch Menschen mit Verantwortungsbewusstsein sitzen – oder bloß angesoffene Gangster, die die Welt in Flammen sehen möchten.

Victor Orban führt seit 2010 eine illiberale Demokratie – das sind seine eigenen Worte. Presse und Medien sind gleichgeschaltet, Wahlgesetze so angepasst, dass schon ein gutes Drittel der Stimmen für eine Zweidrittelmehrheit im Parlament und damit für Verfassungsänderungen genügt. Antisemitismus und Fremdenhass sind fester Teil seines Programms, und mit einer Art „Make Hungary great again“-Politik gewinnt er Wahlen. All das wäre gar nicht so sehr unser Problem, wenn Ungarn nicht Teil der EU wäre und Orban und seine Fidesz-Partei nicht Teil der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament. Außerdem hat er ein paar dicke Freunde in der bayerischen CSU, die jede seiner fragwürdigen Entscheidungen über den grünen Klee loben. So kommt es, dass die rechtsstaatlich und demokratisch verpflichtete EU praktisch keine Handhabe gegen diesen Diktator (EU-Kommissionschef Juncker über Orban) und seine Regierung hat. Den Ungarn gefällt es – was soll man davon halten?

Jarosław Kaczyński ist der nächste im Bunde. Er hat kein offizielles Amt, ist aber de facto Polens Diktator mit seiner PiS-Partei (das steht für „Recht und Gerechtigkeit“). Auch hier ist rechtskonservatives bis rechtsextremes Gedankengut am Werk in Verbindung mit überhöhtem Nationalstolz, Verschwörungstheorien und zuviel Katholizismus. Das Ergebnis sind ständige Querschüsse, ein permanentes Leben als beleidigte Leberwurst (siehe die Verweigerung der Wiederwahl des Polen Donald Tusk als EU-Ratspräsident) und eine offenbar schwere psychische Störung aufgrund nicht verwundener Trauer wegen des Todes seines Zwillingsbruders. Wie würde wohl ein deutscher Parlamentspräsident reagieren, wenn während einer Debatte plötzlich ein Abgeordneter ans Mikro liefe und die politischen Gegner anbrüllte mit „Nehmt den Namen meines verstorbenen Bruders nicht in eure verräterischen Mäuler, ihr habt ihn zerstört und ermordet“. Das ist doch ein Fall für den Doc und nicht für die Führung einer Nation.

Etwas schwerer tue ich mit Benjamin Netanjahu, dem israelischen Ministerpräsidenten. Auch hier tippt man von Ferne auf eine psychische Störung, die sich in Form einer Bessessenheit niederschlägt. Hier ist es der Iran, der offenbar alles Schlechte vereint, was man sich in Israel so vorstellen mag. Netanjahu führt sein Land immer weiter weg von einer friedlichen und kooperativen Lösung des Nahost-Konflikts, der uns schon viel zu lange in Atem hält. So sehr man Israel als jüdischen Staat ansehen möchte, es hat doch rund 20% arabische Bürger. Und der Siedlungsbau in den besetzten Gebieten, der sogar die EU verärgerte, wurde seit der Wahl Trumps zum US-Präsidenten wieder aufgenommen, auf dass die streng orthodoxen Juden wieder im Land der Tora leben dürfen. Man muss zugeben: Die Palästinenser machen dabei keine besonders gute Figur und sind selbst nicht sehr an einer friedlichen Lösung des Konflikts interessiert. Aber ich lege hier an das Land Israel als einzige funktionierende ind intakte rechtsstaatliche Demokratie andere Maßstäbe an: wenigstens dort sollte die Vernunft wohnen, aber zumindest in der israelischen Regierung ist davon wenig zu spüren.

Über Assad braucht man nichts zu schreiben, der gehörte schon immer zu den Irren.

Ob auch die Machthaber im Iran irre sind, steht aber durchaus zur Debatte. Die Idee, den Bürgern einen Gottesstaat aufzuzwingen und alle und alles daran zu messen, ob es einer Riege alter und sehr alter ultrakonservativer Männer gefällt, ist ohnehin letztlich zum Scheitern verurteilt. Aber immerhin halten sich diese alten Männer schon seit knapp 40 Jahren an der Macht, und wir werden wohl auch noch eine längere Weile mit ihne rechnen müssen. Eines sollte allerdings klar sein: auch wenn sich der oberste Führer Chamenei gerne auf seinen Gott beruft, hat dieser ihm noch nie auch nur eine einzige verständliche Antwort auf seine Fragen gegeben. Der grantelnde Zausel aus dem Alten Testament hat seit guten 2700 Jahren, der liebe Papa aus dem Neuen Testament seit 2000 Jahren und der enttäuschte Dichter aus dem Koran seit 1300 Jahren nichts mehr von sich hören lassen. Man darf gespannt sein, welchen Weg der Iran gehen wird – selbst als ultimativer Bösewicht in Darth-Vader-Manier steht ihm am Ende das Gleichgewicht der Macht bevor.

Man täte der CSU unrecht, würde man in dieser Liste Seehofer oder Söder allein nennen. Denn für Deutschland nimmt eindeutig die CSU als ganzes die Position der Irren und Wirren ein. Diese Partei regiert seit 2005 im Bund in wechselnden Koalitionen, aber bis heute hat man den Eindruck, es gelte immer noch, die „linksgrünversifften“ Gegner abzuwatschen. Wichtige Projekte werden torpediert (Dobrindt zur – inzwischen ohne ihn beschlossenen – Musterfeststellungsklage: „Lehnen wir ab!!! Komplett streichen!“), gesellschaftliche Veränderungen ignoriert oder abgelehnt (Ex-Innenminister Hans-Peter Friederich zur Homo-Ehe: „Es geht um die weitere Auflösung der gesellschaftlichen Ordnung. Wundern Sie sich nicht, wenn das Pendel irgendwann zurückschlägt.“), aber verrückte Ideen mit einer Inbrunst durchgesetzt, dass einem angst und bange werden kann (Betreuungsgeld, Ausländer-Maut). Nicht einmal die Richtlinenkompetenz der Bundeskanzlerin wird anerkannt (Seehofers Antwort auf Merkels Kritik an seinem Anti-Islam-Spruch: „Dafür fehlt mir jegliches Verständnis.“). Nun ja – es war Merkels Fehler, ihn danach nicht sofort freizustellen. Dass aber wirklich jede passende oder unpassende Gelegenheit genutzt wird, dem Wähler zu verdeutlichen, dass die CSU nicht etwa eine verantwortungsvolle Regierungspartei, sondern die bessere AfD ist, ist mir unverständlich.

Fehlt noch einer? Ach ja, König Donald der Vereinigten Staaten, bei dem ich bis heute zweifle, ob seine Kopie auf Saturday Night Live (gespielt von Alec Baldwin) nicht der bessere Präsident wäre. Würde Trump ein kleines Land regieren wie Österreich (derzeit in der Hand des Kindlichen Kaisers Kurz und seines rechten Steigbügelhalters Strache), dann würde man (wie bei Kurz und Strache) wohl kurz mit den Augen rollen und zur Tagesordnung übergehen. Aber hier? Mit Codes für Atomsprengköpfe in der Tasche, die die Welt mehrfach auslöschen können? Mit einem Verständnis für Diplomatie und Politik, das das Prädikat „kindlich“ redlich verdient hat? Mit einem Verhalten, das mit „kindisch“ noch wohlwollend beschrieben ist? Mit einem unverbrüchlichen Glauben an den christlichen Gott, aber starrer Ablehnung wissenschaftlich bewiesener Tatsachen wie dem Klimawandel? Mit Lügen, Lügen, Lügen, dass sich die Balken biegen? Und mit Freunden und Wählern, die ihm alles, wirklich alles verzeihen, was sie bei einem demokratischen Präsidenten ein repetierendes „Impeachment“ hätte ausrufen lassen? Wie irr ist das denn?

Aber vielleicht haben ja jene Recht, die behaupten, die Leitung großer Firmen und die Führung großer Staaten sei ein Geschäft, das am besten von Psychopathen ausgeübt werde. Denn nur diese sind im Zweifelsfall waghalsig genug, alles auf eine Karte zu setzen und auch zu unlauteren Mitteln zu greifen, wenn es einen Vorteil verschafft. Da ist dann der Klimawandel egal, weil man ohnehin in zwanzig Jahren tot ist. Oder der massive Anstieg der Staatsverschuldung, weil das lediglich die Nachfolger interessiert. Oder der Bruch von Verträgen, weil man das ja ständig macht und andere den riesigen Scherbenhaufen aufräumen müssen.

Vielleicht hilft es anzunehmen, dass alles, was die Damen und Herren in ihren hohen politischen Positionen tun, letztlich so gut wie keine Auswirkung auf unser tägliches Leben hat. Man wird ja noch träumen dürfen.

Es grüßt herzlich
Ihr JL7

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