Seehofer und die Pressefreiheit

Werte Leserinnen und Leser,

kennen Sie Frau Hengameh Yaghoobifarah? Ich lese die taz nicht, bei der die Dame arbeitet und ab und an sehr zugespitzte Artikel verfasst. In der vergangenen Woche hat sie es mit den Spitzen wohl etwas übertrieben. In einem Satire-Artikel hat sie ihren Lesern dargelegt, was denn die Polizsiten täten, wenn die Polizei aufgelöst würde. Und sie hatte auch gleich einen kontroversen Vorschlag: die Müllkippe. Viele ihrer Leser, besonders die Rechtskonservativen, erinnerten sich dabei sicher an Alexander Gauland („Wir werden [die Integrationsbeauftragte Aydan Özoguz] in Anatolien entsorgen“). Dessen Ausspruch war seinerzeit „noch vom Recht auf freie Meinungsäußerung“ gedeckt, wie die Staatsanwaltschaft Mühlhausen nach der Einstellung des Verfahrens gegen ihn mitteilte.

Diesmal sollten also Nägel mit Köpfen gemacht werden. Rainer Wendt, seines Zeichens glühender Befürworter des starken Polizeistaats und zudem der Unterschlagung von Staatsgeldern überführt, aber trotzdem weiterhin Chef der Deutschen Polozeigewerkschaft), erstattete sogleich Anzeige und erklärte:

Wie hasserfüllt, degeneriert und voller Gewaltbereitschaft muss man eigentlich sein, um solche widerlichen Gedanken aufzuschreiben?

Wo Wendt die Gewaltbereitschaft sah, bleibt sein Geheimnis – allerdings findet das Wort in fast allen seiner Sätze irgendwo seinen Platz. Man sollte es nicht überbewerten. Und echte Gegner sind in den Augen von Hütern der reinen Lehre ja immer irgendwie „degeneriert“ – man kennt das ja noch aus den 12tausend Jahren.

Fünf Tage später war die Sache bis zu Seehofers Modelleisenbahn vorgedrungen, mit der er, wie man hört, gerne am Wochenende viel Zeit verbringt. Und da platzte dem alten Mann am Sonntagabend der Kragen. Schließlich ist er Bundesinnenminister und hat mit der Bundespolizei auch eine kleinere Gruppe von Polizisten unter seiner Fuchtel. Auf den Müll? Unverschämtheit. Da muss man was machen.

Und so nahm das Unheil seinen Lauf. Seehofer äußerte sich öffentlich, er werde in seiner Eigenschaft als Minister Strafanzeige gegen Frau Hengameh Yaghoobifarah erstatten wegen Volksverhetzung. Spätabends am Sonntag erschienen in den Online-Zeitungen die ersten Schlagzeilen. Und wieder einmal hatten die Rechtskonservativen Oberwasser: „Recht so!“ (oder ähnlich) hieß es allenthalben, und gleich war auch die Linie gezogen vom Generalverdacht wegen latenten Rassismus über den Müll der taz bis hin zu den Stuttgarter Marodeuren.

Kommen wir nun zur Pressefreiheit, die „ein hohes Gut“ sei, wie immer wieder betont wird, wenn man den Satz anschließend mit einem „aber“ fortsetzen möchte. So auch Seehofer, dessen Aufgabe als Innenminister auch die Einhaltung der Verfassung ist. (Man fragt sich in diesem Zusammenhang unweigerlich, warum die meisten vergassungswidrigen Gesetze aus dem BMI kommen, aber das ist eine andere Geschichte; sie wird ein andermal erzählt werden). Denn Seehofer erklärte uns:

„Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso, wie wir es jetzt in Stuttgart gesehen haben“

Unweigerlich. Natürlich. Man könnte es auch anders formulieren:

„Eine Enthemmung der Worte führt unweigerlich zu einer Enthemmung der Taten und zu Gewaltexzessen, genauso, wie wir es jetzt in Halle gesehen haben“

Unterschied bemerkt? In Halle hat kein Mensch, sondern eine widerborstige Eichentür verhindert, dass der Rechtsextremist Stephan Balliet ein Massaker an unseren Mitbürgern jüdischen Glaubens anrichten konnte. Dieser Mann war enthemmt dank des Geschreibsels seiner Nazi-Freunde, die sich nach Herodes-Art danach sofort die Hände in Unschuld wuschen. Hatte man damals von Seehofer Ähnliches gehört?

Zum Glück hat auch Seehofer noch eine höhere Instanz, nämlich die Bundeskanzlerin. Im Gegensatz zu ihm hat sie den riesigen Fettnapf sofort gesehen und ihn zum Rapport bestellt. Inzwischen heißt es aus dem BMI nur noch, man denke darüber nach, müsse sich noch abstimmen. Entschlussbereit klingt das nicht – eher nach Rückzug.

Man stelle es sich einmal vor: eine Staatsanwaltschaft ermittelt und kommt dann zum Schluss, dass schon die Meinungsfreiheit die Aussage von Frau Hengameh Yaghoobifarah deckt – und stellt das Verfahren ein. Offenbar hat Seehofer an diesen – wahrscheinlichen – Ausgang des Verfahrens gar nicht gedacht. Wir hingegen denken an die Verfahren zu „Soldaten sind Mörder“ und „ACAB“ – auch die gingen zugunsten der Beklagten aus.

Ein Innenminister aber, der den zweiten Schritt nicht einmal bedenkt, ehe er den ersten tut, ist seines Amtes nicht mehr gewachsen. OK – wir haben das über Seehofer schon 2018 gesagt, als er auf Teufel komm raus ein radikales Asylrecht umsetzen wollte und dabei beinahe die Koaltion hätte platzen lassen. Oder als er Hans-Georg Maaßen zum kürzesten Staatssekretär aller Zeiten machte. Das ist also keine neue Erkenntnis.

Weil erst im September 2021 Wahlen sind und Seehofer keinesfalls vor Merkel aus Berlin verschwinden wird, dürfen wir uns also noch auf ein paar weitere Kapriolen aus seinem Hause freuen. Ich schaue mir jetzt noch einmal ein kurzes Video aus 2013 an, als Frau Merkel ihrem Generalsekretär wie einem Kind auf offener Bühne die Deutschlandflagge wegnahm und -ganz wie früher meine eigene Mutter – den Kopf schüttelte. Und diesmal stelle ich mir einfach vor, Gröhe wäre Seehofer. So ungefähr muss das heute morgen ausgesehen haben.

Es grüßt herzlich

JL7

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