Werte Leserinnen und Leser,
Derzeit lesen und hören wir viel von Solidarität. Sie sei geübt worden, als junge Menschen zugunsten der Älteren auf Partys und soziale Kontakte verzichtet haben. Als die mittlere Generation nicht mehr ins Theater oder Kino gehen konnte. Als man Essen nur noch per Lieferando bestellte. Und jetzt hören wir wieder davon: gegen Covid-19 Geimpfte mögen doch nun solidarisch sein und auf ihre Grundrechte noch ein paar Wochen verzichten, weil alle Nicht-Geimpften ansonsten benachteiligt seien. (Die umgekehrte Argumentation, die von „Privilegien“ oder „Sonderrechten“ spricht, möchte ich hier nicht aufnehmen, weil sie völlig außer acht lässt, dass Grundrechte nun einmal keine Privilegien sind – und für jeden Einzelnen gelten und nicht erst dann, wenn ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung sie ebenfalls in Anspruch nehmen kann.)
Ich war im Rahmen von Corona nie solidarisch. Ich habe meinen Freundeskreis nicht aus Solidarität eingeschränkt. Ich bin während der Ausgangsssperre nicht aus Solidarität drin geblieben. Ich habe nicht aus Solidarität auf Shoppen, aufs Essengehen, auf Clubbesuche verzichtet. Ich habe das alles getan, weil es in Verordnungen und Gesetzen so festgehalten wurde. Ganz unabhängig davon, dass ich viele der Einschränkungen mittrage und zu ihrer Zeit für richtig hielt bzw. halte – niemand hat mich darum gebeten, solidarisch zu sein und die AHA+L-Regeln freiwillig zu befolgen. Im Gegenteil – die Nichtbefolgung wurde sanktioniert, und sogar recht offensiv.
Sie sehen, worauf ich hinaus will: Solidarität ist eine freiwillige Leistung. Freiwillig, das ist, wenn ich meinem Lieblingsclub eine dicke Spende zukommen lasse, damit er überlebt. Wenn ich beim Friseur ein übergroßes Trinkgeld hinterlasse, weil ich mich dort zehn Wochen lang nicht sehen lassen durfte und nicht einsehe, warum das auf Kosten der Mitarbeiterin gehen soll. Freiwillig, das ist alles, was ich tue, obwohl es eine Verordnung von mir gerade NICHT verlangt.
Nichts davon ist das, was in der derzeitigen Diskussion als „Solidarität“ bezeichnet wird. Die Bürger haben im vergangenen Jahr keine Solidarität gezeigt, sondern wurden gewzungen, die temporären Einschränkungen einzuhalten – und ich möchte daran erinnern, dass die Polizei sich manchmal alles andere als zimperlich gezeigt hat, wenn es darum ging, diese Regeln strikt durchzusetzen. Noch heute wird jede polizeiliche Auflösung von Partys oder Demos begründet mit „haben sich vielfach nicht an Corona-Regeln gehalten“.
Es ist daher absurd, jetzt wieder „Solidarität“ einzufordern, indem die rechtlich zwingend gegebene Wiederherstellung von Freiheitsrechten für Geimpfte angezweifelt wird. Bundestag und Bundesrat haben recht daran getan, die zugehörige Verordnung in Kraft zu setzen.
Wer nun Solidarität wünscht, darf sie fordern. Und wenn Geimpfte freiwillig darauf verzichten, ihre Freiheiten in Anspruch zu nehmen, dann dürfen sie das ebenfalls – und man nennt es dann zu Recht Solidarität.
Ich bezweifle aber, dass diese Forderung auf allzu viele offene Ohren stoßen wird. Eher erwarte ich, dass sich nun mehr Menschen impfen lassen – das sollte ohnehin das erste Ziel sein. Und dann gehört die Diskussion in drei Monaten der Vergangenheit an, weil jeder, der will, einen Impftermin hatte.
Bleiben die Impfverweigerer. Aber genau wie Alkoholiker oder Kettenraucher kennen sie das Risiko, es ist dann ihre Entscheidung. Es ist nicht die Aufgabe des Staates, sie gegen ihren Willen weiterhin zu beschützen.
Bleiben Sie gesund. Es grüßt herzlich,
Ihr JL7