Neubauer, Maaßen und der Antisemitismus

Werte Leserinnen und Leser,

lassen Sie mich diesen Text mit einem Zitat beginnen:

„Sie legitimieren rassistische, antisemitische, identitäre und übrigens auch wissenschaftsleugnerische Inhalte, verkörpert durch Hans-Georg Maaßen. Dazu hätten Sie ganz klar etwas sagen müssen, das hätten Sie ganz klar verurteilen müssen.“

Es stammt von Luisa Neubauer, die am Sonntagabend (09. Mai 2021) in Anne Wills Talkshow saß. Die Worte waren gerichtet an Armin Laschet, der ebenfalls Gast der Sendung war.

Natürlich kam es, wie es kommen musste, wenn jemand das Wort „Antisemitismus“ in Zusammenhang mit Politikern bringt, die nicht der AfD und der Linken angehören. Laschet war sich sofort sicher, dass Maaßen kein Antisemit sei. Und tags darauf berichten die Zeitungen von vielen, die Frau Neubauer deutlich zeigten, was sie von ihrer Aussage hielten, beispielsweise die CDU-Politikern Karin Prien auf Twitter:

Liebe

solche vollkommen haltlosen und infamen Vorwürfe gegen

vergiften die gesellschaftliche Debatte. So dürfen Demokraten auch in Wahlkampfzeiten nicht miteinander umgehen. Schlimmer noch: Sie schwächen leider den Kampf gegen den Antisemitismus.

Tatsächlich gilt der Vorwurf Neubauers in erster Linie Herrn Laschet, der sich ihrer Meinung nach hätte abgrenzen müssen. Ist aber die Forderung, sich abzugrenzen, „haltlos“ oder gar „infam„? Beides passt nicht. Man gewinnt eher den Eindruck, Frau Prien beziehe die Attribute auf Laschet und nicht auf Maaßen, denn den erwähnt sie gar nicht.

Die ZEIT schaffte es nicht einmal, das Zitat im Wortlaut zu veröffentlichen, sondern verkürzte es von vier auf zwei Attribute:

Neubauer hatte Maaßen am Sonntagabend in der ARD-Sendung Anne Will vorgeworfen, „rassistische und antisemitische Inhalte“ zu verbreiten. […] Neubauer warf Maaßen konkret vor, Inhalte antisemitischer Blogs zu verbreiten.

Es bleibt dabei das Geheimnis der ZEIT, ob sie die weggelassenen Vorwurfsattribute für weniger kritisch hält oder aber der Meinung ist, Frau Neubauer läge damit richtig.

Ich muss zugeben, ich kann in dem vollständigen Zitat oben nicht so allzu viel konkrete Vorwürfe entdecken; der Name „Maaßen“ fällt erst am Schluss. Aber natürlich, man kann es so sehen wie Herr Maaßen, dem ZEIT und FAZ natürlich gleich eine Bühne gaben:

„Das sind für mich halt- und beleglose Behauptungen, die ich energisch zurückweise“, sagte der ehemalige Bundesverfassungsschutzpräsident der Nachrichtenagentur dpa. Neubauer habe keinerlei Belege für ihre Behauptungen. Heutzutage könne über alle alles gesagt werden, sagte Maaßen. „Es ist eine Verrohung des politischen Diskurses, die man zur Kenntnis nehmen muss.“

Und jetzt mal kurz innehalten. Haben Sie es bemerkt? Jetzt reden plötzlich alle nur noch über Antisemitismus. Was aber ist mit den anderen Attributen? Ich wiederhole sie einmal:

rassistische, antisemitische, identitäre und übrigens auch wissenschaftsleugnerische Inhalte

Maaßen, selbst ausgemachter Spezialist bei der Verrohung des politischen Diskurses („Linksradikale Kräfte in der SPD„, netzpolitik-Landesverrat-Affäre, Snowden ist ein russischer Spion), nutzt allerdings seinen Twitter-Kanal und seine Auftritte sehr wohl dazu, Inhalte von Blogs zu teilen, die von fragwürdigen Rechtsaußen-Autoren mit fragwürdigen Inhalten bestückt werden. Er teilt rassistische Inhalte zu Flüchtlingen und deren angeblichen Straftaten. Er verharmlost immer noch den rechtsextremen Terror. Er steht jenen nahe, die sämtliche Corona-Maßnahmen ablehnen. Er hat dem FDP-von-Gnaden-der AfD-Ministerpräsidenten Kemmerich gratuliert:

„Großartig! Hauptsache, die Sozialisten sind weg.“

Oder kurz gesagt: sämtliche Vorwürfe von Frau Neubauer sind richtig – außer der Sache mit dem Antisemitismus. Die ist schon deswegen nicht beweisbar, weil die Autoren von „politically incorrect“  und der „Achse des Guten“ und weiteren Blogs (nein, keine Links dahin) dazu viel zu vorsichtig sind. Hetze gegen Flüchtlinge, Muslime, Ausländer und Linke wird bei uns hingenommen, wenn sie unter der Aufforderung zur Gewalt bleibt. Antisemitismus wird nicht hingenommen und führt zur Ächtung des Autors – und das wollen die Herren Autoren keinesfalls. Wobei die Ächtung richtig ist – aber in den Köpfen jener, die antisemitisch denken, doch keinerlei Veränderung bewirkt. Dies noch: jeder Vierte denkt laut SZ antisemitisch

Was lernen wir daraus: Du kannst so viel Richtiges sagen, wie Du willst – aber vergreife Dich nie ohne hieb- und stichfeste Beweise am Vorwurf des Antisemitismus. Dann erlebst Du, dass der Angegriffene härter kämpft, als wenn seine Kinder in Gefahr wären. Und vor allem sind danach alle deine guten Argumente und richtigen vorwürfe ebenfalls nichts mehr wert, denn darüber schreibt niemand mehr – man würde ja den Widerspruch des Angegriffenen relativieren.

Und so schafft es einer wie Maaßen immer wieder, Beifall von ganz rechts zu bekommen und trotzdem selbst scheinbar so sauber zu bleiben, dass ihm die halbe CDU beispringt und darüber hinaus noch andere. Ich wiederhole mich: dieser Mann ist gefährlich.

Es grüßt herzlich

Ihr JL7

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