Werte Ministerpräsidenten der Bundesländer (ausgenommen Herr Peter Harry Carstensen aus Schleswig Holstein),
wieder einmal habt Ihr einen Staatsvertrag ausgeheckt, der von den Länderparlamenten in einem halbdemokratischen Verfahren abgenickt werden soll. Diesmal geht es ums staatliche Glücksspiel. Nachdem gerichtlich festgestellt wurde, dass der staatliche Auftrag, die Glücksspielsucht einzudämmen, gescheitert ist und nun endlich private Anbieter auf dem deutschen Markt zugelassen werden müssen, haben die Verantwortlichen der Länder in der Kiste der netztechnischen Folterwerkzeuge gekramt und obenauf sogleich das gerade abgelegte staatliche Allheilmittel gefunden: Internetsperren sollen verhindern, dass die Bürger des Landes die Webseiten nicht zugelassener Anbieter im Internet zu sehen bekommen.
Ja, lernt Ihr denn gar nichts hinzu? Die Gründe gegen Netzsperren sind heute noch genau die gleichen wie vor zwei Jahren, als in Deutschland erbittert über die Kinderpornosperren diskutiert wurde. Das Zugangserschwernisgesetz ist inzwischen de facto aufgehoben, aber die Ministerpräsidenten haben den tiefen Streit offenbar beratungsresistent überstanden.
Man erklärt uns, das wichtigste Argument der Netzsperrengegner zöge hier nicht. Man könne hier nicht löschen, denn die Angebote seien anderswo legal, daher müsse man sperren. Aber, liebe Ministerpräsidenten, diesmal ist es Zensur, wenn Ihr Webseiten sperrt. Anders als bei Kinderpornographie ist nämlich das reine Betrachten von nicht legalen Glücksspielangeboten nicht strafbar. Es gibt diesmal auch keine Rechtfertigung für eine geheime vom BKA erstellte Sperrliste. Und zudem werdet Ihr es kaum schaffen, dass die Sperrliste geheim bleibt.
Es mag durchaus schmerzlich sein, dass das Internet – anders als ARD, ZDF und die privaten TV-Anstalten – nicht staatlich kontrolliert oder überwacht werden kann. Wie schön war es doch, als sich der Bayerische Rundfunk noch aus dem ARD-Gemeinschaftsprogramm ausklinken und in der Konsequenz einem ganzen Bundesland Filme und Informationen vorenthalten konnte. Aber seht es doch einmal ein: Eure Zeit ist um. Wir sind nicht in China, und alle verzweifelten Versuche, die Kontrolle zurückzuerhalten, sind zum Scheitern verurteilt. Wenn Euch die Gerichte nicht stoppen, dann schafft es die Technik der nächsten Generation. Ihr kämpft gegen Windmühlen.
Daher: bitte vergreift Euch nicht am Grundgesetz und dessen Zensurverbot. Kümmert Euch lieber um europaweit einheitliche, angemessene Gesetze zur Netzpolitik und ein sinnvolles, zeitgemäßes Urheberrecht. Wenn Ihr heute „illegal“ ruft, habt Ihr bereits morgen die Chance, das betroffene Gesetz zu ändern, um daraus ein „legal“ zu machen. Und einmal ganz ehrlich: Um die Nutzer illegaler Glücksspielangebote zu ermitteln, habt Ihr doch bereits perfekte andere Methoden.
Ich schließe mit einem Zitat von Alvar Freude, dem sogar Politiker mit der Diagnose „Beratungsresistenz“ zustimmen können :
Zensur darf in einem demokratischen Rechtsstaat niemals ein geeignetes Mittel zur Erreichung selbst von legitimen Zielen sein.
Herzlichst,
Ihr JeanLuc7
P.S.: Schleswig-Holstein hat sich als einziges gegen Internetsperren ausgesprochen und wird notfalls einen eigenen Vertrag mit den Anbietern schließen. Spannend – nach dem Rauchverbot haben wir dann zum zweiten Mal die Situation, dass in einem Bundesland illegal ist, was im anderen ausdrücklich erlaubt ist.