„Ein Intraday-Trader zur Warenentladung, bitte!“

Man gewöhnt sich leicht an große Zahlen. Im ICE mit 250 km/h fühlt man sich kaum anders als auf der Straße als Fußgänger, und beim Geld ist es ebenso: Eine gewonnene Million bei Günther Jauch ist gerade so noch fassbar, aber die Milliarden und Billionen, die in der Schuldenkrise die Schlagzeilen beherrschen, wirken wie ein Blick hinunter in ein tausend Meter tiefes Tal – unheimlich und unwirklich.

Manche der derzeit diskutierten Zahlen sind jedoch wirklich unwirklich – oder besser: virtuell. Beispielsweise beziehen sich nur etwa 8% der gesamten in Deutschland 2010 erwirtschaftete Werte auf reale Waren – 92% hingegen sind virtuelle Güter, beispielsweise Investment- und Spekulationsgewinne. Das ist Geld, mit dem weiteres Geld verdient wird.

Ein anderes, fassbares Beispiel: Nur etwa 30% des auf dem Rohstoffmarkt angebotenen Silbers ist real existent – der Rest der getätigten Geschäfte ist rein virtuell und ließe sich nicht in echtes Silber umtauschen. Warum ist das so? Weil ein Händler nur einen Bruchteil des Silbers nachweisen muss, das er verkauft. Bis vor kurzem mussten sogar nur 10% des Silbers vorhanden sein, so dass man mit einem Silberschatz von 10.000 Euro einen Handel von 100.000 Euro abschließen konnte. Sie werden einwenden, dass man nach erfolgreichem Abschluss doch wohl auch einmal liefern müsse. Nun, man muss nur dann liefern, wenn der Käufer nicht ebenfalls einfach spekulieren will – aber genau dies, das Spekulieren ist das Interesse der meisten Investoren an Rohstoffbörsen.

Die Spekulation auf Rohstoffe ist besonders dann kritisch, wenn es sich dabei auch um Grundnahrungsmittel wie Weizen oder Reis handelt. Die Investoren kaufen die Nahrungsmittel bereits vor der Ernte zu einem festgelegten Preis, und die Bauern bekommen ihr Geld früher – und können es früher ausgeben, was ganz nebenbei eine versteckte Verschuldung ist, denn sie geben  Geld aus, das sie bei der Ernte erst noch verdienen müssen.

Aber bleiben wir bei den Investoren: Wenn sie auf einen Aufwärtstrend der Preise setzen und die Nachfrage nur leicht steigt, führt dies aufgrund des Einflusses der Spekulanten und inzwischen auch aufgrund des automatisierten Intraday-Tradings dazu, dass der Preis explodiert. Umgekehrt kann er bei geringen Überschüsse in der Produktion aber auch deutlich einbrechen. Diese Preissprünge haben nichts mit dem realen Warenhandel zu tun und schon gar nichts mit extremen Engpässen, die natürlicherweise zu Preissteigerungen führen würden.

Wie also dämpft man den Einfluss von Spekulanten und vor allem – wie dämpft man den hektischen Handel, der heute automatisiert von Computern betrieben wird? Mein Vorschlag ist eine modifizierte Finanztransaktionssteuer, die mit der Haltefrist von Aktien oder dem längerfristigen Besitz von Rohstoffen gekoppelt wird.

Geht man davon aus, dass Produzenten und Investoren am langfristigen Erfolg ihrer Investition interessiert sein sollten, dann ist Intraday-Trading das genaue Gegenteil davon. Hier geht es einzig um Geld – die hinter einer Aktie stehende Firma oder die an der Terminbörse gekaufte Ware ist völlig uninteressant oder sogar nicht einmal real, wie beim Silber-Beispiel.

Legt man jedoch eine Mindest-Haltefrist für Waren und Aktien fest, dann entschleunigt sich das System automatisch. Der entscheidende Punkt: Die Mindest-Haltefrist soll nicht für den Wiederverkauf, sondern nur für die Gewinnmitnahme gelten. Der Besitzer kann jederzeit verkaufen – aber innerhalb der Haltefrist bekommt er von seinem Gewinn nichts, alles wird abgeschöpft. Außerhalb der Haltefrist darf er alles behalten. Verluste darf er selbstverständlich ab der ersten Minute behalten. Die Fristen können für Aktien und Rohstoffe unterschiedlich sein – ein Jahr und eine Woche beispielsweise. Aber beide Fristen sorgen automatisch dafür, dass kurzfristige Gewinnmitnahmen nicht mehr möglich sind.

Damit diese Methode global funktioniert, müssen – wie bei allen Handelsbeschränkungen – alle mitspielen – auch die Briten und die USA. Allerdings winkt den Staaten eine ordentliche Zusatzeinnahme, weil manche Waren oder Aktien eben doch vor dem Ende der Haltefrist verkauft werden müssen. Aber der wichtigste Vorteil – der Anteil der realen Güter am Handelsvolumen würde merklich steigen und damit der Einfluss der Finanzmärkte sinken.

Bis zur globalen Einführung der Haltefrist schlage ich ersatzweise ein Praktikum für Investmentbanker vor: Jeder Investmentbanker sollte wenigstens einmal im Leben die vielen Tonnen Weizen oder Silber, die er gerade erworben hat, mit den eigenen Händen und einer Schaufel aus den Transportfahrzeugen laden. Es könnte zur Stärkung der Bodenhaftung beitragen.

Herzlichst,

Ihr JeanLuc7

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